Spielplatzgestalter Robert Schmidt-Ruiu über Vertrauen ins eigene Können: Ich habe die selbstverständliche Annahme, dass jeder alles kann

Kollegen bezeichnen ihn erfürchtig als Großmeister des naturnahen Spielplatzbaus: Der Schreiner und Sozialpädagoge Robert Schmidt-Ruiu gestaltet seit mehr als zwanzig Jahren wilde Spiel- und Freizeitplätze für Kinder – stets gemeinsam mit Eltern oder Anwohnern. Ein Gespräch über seine ungewöhnliche Arbeitsweise in immer neuen Laienteams, die Kunst des Loslassens und die große Zufriedenheit im Angesicht von Selbstgebautem. Fotos: Gerald von Foris 

Herr Schmidt-Ruiu, Sie bauen Spielplätze mit Unterstützung von Eltern oder sogar Anwohnern. Während wir sprechen, stehen wir auf einem Spielplatz in einem Wohngebiet von Pfaffenhofen in Oberbayern. Es ist früher Nachmittag, regnerisch, Sie und zwei ihrer Kollegen arbeiten ganz tapfer. Nur Anwohner sehe ich keine.
Naja, heute ist ein Werktag und gerade jetzt und hier haben wir nicht so viele Helfer. Vergangene Woche aber haben wir einen Bau-Samstag gemacht, da waren einige Mamas und Papas mit ihren Kindern da. Ein Opa kommt immer um halb vier mit seinem Enkel. Wenn wir einen neuen Spielplatz für einen Kindergarten anlegen und mit den Eltern arbeiten, sieht die Sache schon sehr anders aus.

Wie kamen Sie auf die Idee, die Spielplatznutzer und deren Eltern am Bau zu beteiligen?
Während meines Studiums der Sozialen Arbeit habe ich mit Jugendlichen Skaterrampen gebaut. Ein befreundeter Sozialpädagoge sah das Ergebnis und fragte: Du, wir haben da gerade einen freien Platz, aus dem ein Spielplatz werden soll. Wäre das nicht auch ein Projekt für dich? So ging das erste Spielplatzprojekt nahe Dachau los, zusammen mit dem örtlichen Bauhof, der mir grobes Werkzeug wie zum Beispiel Kettensägen zur Verfügung stellte. Alle Spielgeräte habe ich mit den Kindern gebaut und dann in den Ferien aufgestellt. Das hat ein Kindergarten gesehen, dann noch einer und so ging es 1999 los und immer weiter.

Sie sind im Grunde nur mit einem Werkstattbus unterwegs, nichts weiter.
Ja, die Werkstatt ist komplett in meinem Bus untergebracht. Maschinen wie Bagger oder Radlader leihe ich zu.

Was finde ich im Bus?
Motorsägen, Winkelschleifer, Akkuschrauber, Bohrmaschinen, Kettensägen.

Welches Gerät brauchen Sie vor allem?
Die Kettensäge an erster, den Akkuschrauber an zweiter Stelle.

Beschreiben Sie mir Ihre Bauweise. Ich sehe viel Holz, geschliffene Bretter, bewusst rund und schief geschraubte Hütten. Außerdem Balken, aus denen mithilfe der Motorsäge zum Beispiel Pflanzen geschnitzt wurden.
Gleich bei meinem zweiten Projekt habe ich die Kinder einbezogen. Sie sammelten im ersten Schritt Ideen für ein Spielplatz-Motto. Es war alles dabei, vom Diddl-Spielplatz bis zum Weltraum-Spielplatz bis zum Urwald-Spielplatz. Der Urwald bekam bei der Abstimmung die meisten Punkte und entsprechend wild und grob musste alles werden. Wir brauchten Lianen, Netze, Stämme, dichtes Gehölz. Als wir fertig waren, stellten wir fest: Genau so gehört ein Spielplatz gebaut. Er braucht Wildnis und Anregung. Natürlich hätte ich auch ein Weltraumschiff gebaut, schön gradlinig. Aber Urwald ist besser und noch heute steckt in jedem meiner Plätze ein bisschen Urwald.

Die Hütten und Bänke und Brücken und Wippen sind sichtbar von Hand geschnitten, in weichen, märchenhaften Formen. Haben Sie Vorbilder?
Das Motto hier war seit langer Zeit mal wieder Wald. Deswegen sind Tannen angedeutet und eingeschnitzt, Pflanzen und Blätter. Die Formen entstehen frei vor Ort, mit kreativen Mitarbeitern wie zum Beispiel dem Daniel, einem Holzbildhauer, der viel schnitzt.

Die haben das noch nie gemacht und sägen an einem Vormittag 30 Eichenbretter ab. Dann schrauben die ihre Bretter ans Haus und sind total zufrieden – weil das ihre Bretter sind.

Aber wie kommen Sie mit den tageweise angelernten ehrenamtlichen Kräften zurecht? So einfach kann das nicht sein.
Interessant, das sagen viele. Ja, es ist anstrengend, aber auch besonders schön.

Die deutsche Perspektive ist oft: Ohne Ausbildung geht mir keiner ans Werkzeug.
An die Kettensäge darf bei mir keiner ran, an alles andere schon. Wer noch nie einen Bohrer oder eine Flex in der Hand hatte, dem erkläre ich die Maschine und was zu tun ist. Dann dauert es bei der ersten Aufgabe vielleicht ein bisschen länger. Aber wenn jemand einen ganzen Tag da ist und andauernd Bretter schneidet oder Verbindungen bohrt, dann geht es auch flott.

Fassen die Menschen sofort Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten?
Nee, die kommen mit Skepsis: Was wird das hier? Kann ich das? Oder sie denken: Hm, wir stehen wahrscheinlich nur rum und können eh nix machen. Aber gerade Frauen, die oft weniger Vorerfahrung haben, stellen fest, dass sie wirklich alles können. Die lernen mit Stichsäge, Oberfräse oder Akkuschrauber umzugehen. Das macht denen total Spaß. Die haben das noch nie gemacht und sägen an einem Vormittag 30 Eichenbretter ab. Dann schrauben die ihre Bretter ans Haus und sind total zufrieden – weil das ihre Bretter sind.

Woher kommt die Zufriedenheit?
Was Praktisches zu machen und das Ergebnis sofort zu sehen, das krieg ich immer wieder als Rückmeldung, das ist das Schönste. Du bekommst in kurzer Zeit etwas erklärt, fängst an und siehst sofort das Ergebnis, das auch noch dauerhaft bleibt. Naja, und so stehen da täglich 15 Leute, eine zusammengewürfelte Gruppe, alle werkeln an allen Ecken, bis am Abend das fertige Projekt steht. Das macht zufrieden, uns Profis inklusive. Wenn wir nur zu zweit sind, der Daniel und ich, dann schleppen wir uns durch den Tag, müssen alle Verbindungen selber machen und die Stämme abladen und hinmontieren, das dauert ewig. Im Miteinander geht das ruckzuck.

Der Spielplatzgestalter Robert Schmidt-Ruiu, fotografiert von Gerald von Foris
Der Spielplatzgestalter Robert Schmidt-Ruiu, fotografiert von Gerald von Foris

Sie vermitteln den Menschen in kürzester Zeit Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten. Was setzt das voraus?
Die selbstverständliche Annahme, dass jeder alles kann. Jede Tätigkeit, die hier von einem Fachmann gemacht wird, traue ich jedem Laien zu – abgesehen von den Kettensägensachen. Wenn ich zu dir hingehe und sicher bin, dass du das kannst, dann wird das auch was. Selbst wenn du zögerst.

Woher haben Sie diese Gewissheit?
Das hat sich entwickelt. Als ich mit diesen Projekten begann, war ich anfangs unsicher und habe jede Minute überlegt, was ich jetzt machen muss, damit es weitergeht. Aber je mehr ich schaue, dass alle arbeiten und ich vor allem anleite, desto besser funktioniert es.

Helfer und Mitarbeiter sind total frustriert, wenn ich komme und etwas entferne und selbst neu mache. Das versuche ich zu vermeiden. Die Kunst ist es, zu vertrauen und mit dem Ergebnis zufrieden zu sein.

Sind Sie gut im Loslassen?
Genau, man muss loslassen. Das ist ja oft die Gefahr bei mir und meinen Mitarbeitern: Wir wissen, was zu tun ist. Und bevor wir jetzt jemandem lange einen Schritt erklären, machen wir es einfach schnell selbst, dauert ja nicht lang …

Wie bei der Kindererziehung. Da schmiert man das Brot aus praktischen Gründen lange Zeit selbst, ehe man endlich das Messer in die kleine Hand gibt.
Natürlich muss ich manches selber noch mal machen. Wer nur zwei Stunden da ist, dem erkläre ich keine komplexen Dinge. Die Verbindungen zwischen den Säulen zum Beispiel machen auch bei mir nur Leute, die mindestens einen Tag mithelfen. Auch die Seilverbindungen sind kompliziert: Wenn ich weiß, ich habe überhaupt nur drei Seile zum Verbauen zur Verfügung, dann verarbeite ich die selber.

Was lernen Sie in Ihrer Arbeit über gute Teamarbeit?
Vertrauen. Und ich korrigiere nicht. Wenn eine Arbeit technisch und optisch einigermaßen okay ist, lasse ich sie, wie sie ist. Helfer und Mitarbeiter sind total frustriert, wenn ich komme und etwas entferne und selbst neu mache. Das versuche ich zu vermeiden. Die Kunst ist es, zu vertrauen und mit dem Ergebnis zufrieden zu sein. Das ist ein Spagat.

Sie müssen von Ihren eigenen Ansprüchen ablassen.
Und andere gelten lassen.

Ihre Objekte wirken komplex. Macht das die Arbeit nicht schwierig?
Ach, ich muss mich an keine Pläne halten. Was wir machen, ist kreatives Bauen, da spielt es keine Rolle, wo der Aufstieg hinkommt. Den Spielwert beeinflusst das nicht. Wir bauen unsere Spielplätze so, wie Kinder spielen: Ein Turm wird es immer.

Schaffen Sie es wirklich immer, alle zu integrieren und eine echte Arbeitsgemeinschaft zu erzeugen?
In manchen Teams gibt es Einzelne, die gegensteuern. Das macht die Stimmung mies. Aber es passiert in Wahrheit selten: Wer sich hier meldet, der meldet sich freiwillig und hat Lust mitzuarbeiten.

Wenn du dich auf einem Platz wohlfühlst, dann hat er was von Weite. Gleichzeitig muss es geschützte Räume geben, ein Davor und ein Dahinter.

Wie hat sich Ihre Arbeit in den vergangenen zwei Jahrzehnten verändert?
15 Jahre habe ich alleine gearbeitet und bin auf eigene Faust mit Werkzeug und Material auf die Baustellen gegangen. Dann standen da zehn Leute, ich musste mit der Säge sägen und Figuren schnitzen – und die brauchten alle eine Arbeit. Das alles habe ich zu lange selbst organisiert, das war anstrengend. Seit wir zu zweit oder zu dritt kommen, bin ich viel entspannter. Die Projekte laufen flüssig, die Leute kriegen schnell Arbeit. Seit ich Mitarbeiter habe, ist es entspannter geworden und für die Leute zufriedenstellender. Überhaupt macht es mir Spaß, mit immer neuen Menschen Sinnvolles zu produzieren. Ich habe eine richtig schöne Arbeit, die ich sehr sehr gern mache.

Wie haben sich Spielplätze verändert?
Anfangs hatte ich den Eindruck, ich sei der Einzige, der Wildheit auf den Spielplatz bringt. In den Katalogen gab es nur Stahl und glatte Klettergerüste, niemand spielte mit natürlichen Materialien und machte die Geräte organischer. Mittlerweile sehe ich in den Standardkatalogen Holzspielgeräte aus Rubinie, die vor Ort kreativ fertiggebaut werden. Vielleicht wird das gerade ein Trend, wegen der Digitalisierung: Es ist wichtig, dass Kinder mit Naturmaterialien in Berührung kommen. Kindergärten gehen in den Wald und spielen dort. Einen besseren Spielplatz als den Wald gibt es nicht.

Gibt es eine Art Goldenen Schnitt für einen guten Spielplatz?
Ja, es braucht Höhen und Tiefen, es braucht Bepflanzungen und Wasser. Wenn es irgendwie geht, beziehe ich einen Bachlauf ein.

Wann fühlt man sich auf einem Spielplatz wohl?
Wenn du dich auf einem Platz wohlfühlst, dann hat er was von Weite. Gleichzeitig muss es geschützte Räume geben, ein Davor und ein Dahinter. Man muss Übersicht haben können, aber auch mal unten sein. Es ist gut, wenn es Wasser gibt. Und eine Feuerstelle! Felsen. Wenn alles, was in der Natur vorkommt auch im Park auftaucht, dann ist es ein guter Platz.

Sie arbeiten seit mehr als zwei Jahrzehnten jeden Tag draußen. Geht die Arbeit in die Knochen?
Total. Aber seit ich nicht mehr allein bin, sind die körperlichen Probleme wieder weg. Ich bin entlastet, seit auch die anderen mit der Kettensäge arbeiten. Mir geht es körperlich besser als vor fünf Jahren.

Ihr Rezept für kalte Tage?
Arbeiten. Rumstehen ist tödlich.

Dann hören wir jetzt auf.
Selbst im strömenden Regen geht ja was! Wenn man sich bewegt und miteinander etwas macht, dann ist das Wetter egal. In den vergangenen zehn Jahren habe ich nur drei Mal die Arbeit wegen des Wetters verlegt oder aufgehört – als wir wirklich durchgeweicht waren.

Fotos: Gerald von Foris

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