Die Astronomin sagt: »Am Nachthimmel gibt es keine Probleme und Grenzen, dort weitet sich der Blick«

Sabine Frank ist Hobbyastronomin und sorgte dafür, dass die Rhön zum Sternenpark ernannt wurde: In dem Mittelgebirge ist es nachts besonders dunkel, dort glitzern ferne Sonnen besonders schön. Oben, sagt Frank, gibt es keine Grenzen. Oben ist Trost

Hinweis: Das Gespräch stammt aus dem Jahr 2016 und ist Teil der aktuell zusammengestellten Interview-Miniserie »Projekt Trost«. Die begleitenden Bilder stammen von Gerald von Foris

Die Hobbyastronomin Sabine Frank führt seit vielen Jahren Menschen durch die Rhön und zeigt ihnen den nächtlichen Sternenhimmel. Die Rhön ist ein Mittelgebirge an den Grenzen von Hessen, Thüringen und Bayern. Man kann dort den ungetrübten Glanz von Sternenbildern wie Orion, Pegasus oder Stier erleben – solange einem das Streulicht der Straßenlampen nicht den Spaß verdirbt.

»Mir fiel irgendwann auf, dass die Nächte selbst in der Rhön immer heller wurden«, erinnert sich Sabine Frank. Sie machte sich Sorgen wegen der Wirkung, die das Licht bei Nacht erzeugt. »Der Wechsel von hell zu dunkel ist physikalisch die drastischste Änderung, die wir jeden Tag erleben. Er ist impulsgebend für das Leben. Wenn die Nächte heller werden, wird der Wechsel schwächer und der Biorhythmus von Menschen und Tieren kommt durcheinander.« Sabine Frank fragte sich 2011: Kann man die Nacht schützen?

Alle Astronomen kennen die Dark Sky Association, die sich dem Kampf gegen die Lichtverschmutzung widmet. Sabine Frank lud den deutschen Vertreter der DSA in die Rhön ein. Und der staunte. Messungen ergaben, dass es in der Rhön an manchen Stellen nachts so dunkel ist wie sonst nur in Namibia. Könnte die Rhön vielleicht ein Sternenpark werden, fragte sich Sabine Frank? Der zweite in Deutschland? Wäre das ein Weg, die Nacht in der Rhön zu bewahren?

Sabine Frank ist gelernte Verwaltungsfachangestellte. Sie kennt sich in Gemeindeverwaltungen und Rathäusern aus und weiß, wo man klopfen muss, wenn man eine Idee hat. Allerdings stieß die Sache mit dem Sternenpark damals in der Rhön noch auf Irritation. Was soll ein Sternenpark sein? Was soll der bringen? Was hat man davon, wenn man den Himmel schön hat?

»Die Touristiker konnten nichts damit anfangen«, erinnert sich Sabine Frank. Den Bürgermeistern ging es ähnlich. Sabine Frank fing an zu erklären. Sie skizzierte die Vision eines Sternenparks als Magnet für Reisende. Dazu müsse man aber die Ortsbeleuchtungen überdenken und das Streulicht minimieren. Sabine Frank organisierte Infoveranstaltungen und zeigte auf Bildern, wie sich unsere Nacht verändert hat: Die Dunkelheit war natürlich mal dunkler, ganz ohne Straßen-, Gewerbegebiets- und Garageneinfahrtsbeleuchtung. Frank erzählte den Menschen von Bäumen, die heute nicht richtig ablauben können, weil der Unterschied zwischen Tag und Nacht verschwimmt. Sie erzählte von der Chronobiologie: Unser Körper folgt einem 24-Stunden-Rhythmus. Taktgeber ist das Licht. Sie erklärte, dass wir uns in den Abendstunden mit zuviel Licht geißeln; dass wir depressiv werden können, wenn der Unterschied zwischen Tag und Nacht nicht zu erkennen ist. Wir brauchen tagsüber weißes Licht, weil unser Körper Serotonin bildet, das in der Dunkelheit gebildetes Melatonin aus unserem Körper schwemmt. Und dann schwärmte Sabine Frank natürlich vom Zauber des Himmels und von der Nacht. Sie sprach vom »Schatzkästchen«, das sich allnächtlich bei klarem Himmel über der Rhön öffne – solange kein Straßenlicht den Blick trübe.

Sabine Frank organisierte mehrere hundert Informationsveranstaltungen. Die ausdauernde Ansprache, das andauernde Engagement für den Himmel zeigte Wirkung. Nicht nur, dass die Rhön zu einem von heute vier Sternenparks in Deutschland wurde: Viele Kommunen in der Region verpflichteten sich freiwillig, moderater und nachtfreundlicher zu beleuchten. Straßenlampen, die vorher halbe Ortschaften in helles Licht tauchten, verschwanden. Nach und nach entdeckte die Region ihr Faible für den Himmel. In den Auslagen der Buchhandlungen sind heute Astronomiebücher zu finden. Es gibt sogar eine Sternenparkskoordinatorin im Fuldaer Landratsamt. Sie heißt Sabine Frank.

»Die Farbe des Himmels verändert sich vom weisslichen Gelb zu graublau, dann zu blau, dann zu knallblau, immer blauer, dann blauschwarz und dann ploppen die Sterne raus«

Die Hobbyastronomin hantiert an einer Weggabelung in der Menschheitsgeschichte. Wir leben im Anthropozän: In den vergangenen hundert, zweihundert Jahren hat der Mensch besonders viel von der Welt genommen, um sich das Leben angenehm zu machen. Die Folgen sind mit jedem Jahr klarer zu sehen. Auch in Deutschland. Tierarten verschwinden, Temperaturen steigen, die Nacht wird heller. Immer mehr Menschen stellen die Selbstverständlichkeit in Frage, mit der wir uns der Welt bemächtigt haben.

Sabine Frank sagt, dass sie Zeit ihres Lebens nach oben geschaut habe, zu den Vögeln und zu den Sternen. Im Blick nach oben liege etwas Beruhigendes, vor allem nachts. »Der Lichtstress fällt weg«, erzählt Frank. »Wir werden nicht permanent abgelenkt. Das hat etwas wahnsinnig Tröstendes.« Immer wieder erlebt sie im Blick nach oben eine heilsame Wirkung. »Wenn ich traurig bin und es läuft nicht gut, dann schau ich hoch und es ist so tief. Dieser Blick beruhigt so ungemein.« Den Sternen, sagt Sabine Frank, ist es egal, wie das Leben auf der Erde läuft. »Sie kennen keine Probleme oder Begrenzungen, wie wir sie kennen. Probleme und Grenzen gibt es im Kopf und auf dem Boden«, glaubt Sabine Frank. »Dort oben aber nicht. Dort oben weitet sich der Blick.« Die Fuldaerin kennt übrigens ein schönes Bild zur Beschreibung des Tag- und des Nachthimmels. Tags liege ein Deckel auf der Welt: Das kurzwellige blaue Licht der Sonne streut in der Luft und legt sich wie ein Schleier über die Erdhalbkugel. Mit der Nacht fällt dieser Schleier und offenbart den Blick in den Kosmos. Der Himmel, so Sabine Frank, scheint durchsichtig zu werden: »Nachts ist die Welt offen.«

Aus all diesen Worten kann man viel Bewunderungsfähigkeit hören, aber auch Demut. Sabine Frank findet das selbstverständlich. Astronomen müssten ja ohnehin immer geduldig warten, bis sie sich ihrem Hobby widmen können. Der Himmel muss wolkenfrei sein, er muss mondfrei sein, Sternenbeobachtung geht selten auf Knopfdruck. »Ohne eine hohe Frustrationstoleranz funktioniert das Hobby nicht.«

Dann aber, bei schönem Wetter, kann man minütlich den Weg vom Licht in die Dunkelheit beobachten. Es beginnt mit der blauen Stunde. »Das ist die beste Zeit des Tages«, sagt Sabine Frank, »zwischen Sonnenuntergang und bis die Straßenlampen angehen.« Sie überlegt. »Ich kann mich dem Blick nicht entziehen. In der blauen Stunde ist oft kaum jemand unterwegs, die Leute sitzen schon vor der Glotze. Im Osten aber erkennt man, halb rund, den Schatten der Erde in der Atmosphäre. Die Sonne, schon untergegangen, scheint von Westen auf unseren Planeten und der Schatten ist in der Atmosphäre zu sehen. Die Farbe des Himmels verändert sich vom weisslichen Gelb zu graublau, dann zu blau, dann zu knallblau, immer blauer, dann blauschwarz und dann ploppen die Sterne raus. Die Amsel trällert. Und dann kommt sie, die Nacht.«