»Sie missen sein in Zustand von Gleichgiltigkeit«: Was ich von Illustrator Jiří Šalamoun gelernt habe
Auf dieser Seite frage ich die Besten eines Faches nach ihrem Wissen und ihrer Weisheit. Aber auch woanders findet sich Interessantes über gelingendes Leben und Arbeiten. Bei der Illustratorin Rotraut Susanne Berner zum Beispiel.
Die Journalistin Lea Hampel interviewte vergangenen Oktober Illustratorin und Buchumschlaggestalterin Rotraut Susanne Berner, die vor allem mit ihren Wimmelbüchern berühmt wurde. Im Gespräch erzählt Berner von einem Kurs beim Prager Illustrator Jiří Šalamoun:
»Mit 40 hatte ich eine Krise. Ich hatte viele Umschläge gemacht, aber als Gebrauchsgrafiker ist man nie frei und eigene Bücher habe ich mir nicht zugetraut. Also bin ich nach Salzburg an die Sommerakademie gegangen. Der Kursleiter, Jiří Šalamoun, ein Künstler aus Prag, war sehr schweigsam und ging immer nur auf und ab. Das hat mich stark verunsichert. Aber irgendwann hat er etwas Entscheidendes zu mir gesagt, in seinem tschechischen Akzent: »Sie missen sein in Zustand von Gleichgiltigkeit.« Das ist irgendwie bei mir angekommen. Nach fünf harten Wochen habe ich die Kurve gekriegt.«
Dieses »Sie missen sein in Zustand von Gleichgiltigkeit« trage ich seitdem mit mir herum. Einerseits mag ich den schönen, angetschechischten Klang des Satzes. Andererseits glaube ich, dass unter der salopp klingenden Formel eine Vielzahl von Gedanken liegen.
Zunächst hat die Anleitung zur »Gleichgiltigkeit« etwas Kontraintuitives an sich. Kann es Sinn ergeben, den Kursteilnehmer:innen echte Gleichgültigkeit ans Herz zu legen? Wohl kaum. Šalamoun muss mit dem Wort eine Form kreativer Egalheit meinen, wie sie zum Beispiel beim »Flow« zutage tritt. Das ist dieses Gefühl, das der Psychologe Mihály Csíkszentmihályi beschrieb: Im Flow gehen wir ganz in einer Tätigkeit auf. Im Flow sind wir weder überfordert noch unterfordert. Im Flow erwarten wir nicht, dass unsere Arbeit zu einem Erfolg führt, uns ist egal, ob sie einer bestimmten Erwartung gerecht wird. Flow kann also zustande kommen, wenn wir eine aktive Form der Gleichgültigkeit pflegen.
Als ich kürzlich einen Schriftsteller für eine der nächsten »Meisterstunden« interviewte, kamen wir auf eine Version der Gleichgültigkeit zu sprechen, wie sie Menschen entwickeln, die in ihrem Genre viel Erfahrung gesammelt haben. Mein Interviewpartner erzählte die Geschichte des Regisseurs Peter Brook:
»Als junger Regisseur konnte er nicht auf eine Probe gehen, ohne ganz genau zu wissen, was er an diesem Tag machen wird. Er hatte einen ganz präzisen Plan. Bis hin zu bestimmten Arrangements wusste er ganz genau, was er macht. Erst später fand er den Mut, auf diesen Plan zu verzichten und auf eine Probe zu gehen und nur zu gucken und zu sehen, was entsteht.«
Sicher, in diesem Beispiel spielt die Arbeitserfahrung eine Rolle. Peter Brook entwickelt mit der Zeit die Gewissheit, dass ihm schon was einfallen wird. Die psychologische Forschung schreibt an der Stelle vom »metakognitiven Wissen«: Expertinnen und Experten eines Faches entwickeln im Lauf der Jahre metakognitives Wissen, das sie in die Lage versetzt, sich dessen bewusst zu werden, was sie wissen und tun. Sie sehen und spüren, an welcher Stelle ihrer Arbeit sie sich befinden und wie sie diese modifizieren können, um einem Problem gerecht zu werden. Peter Brook lernte, wenn man so will, wie sich Gleichgültigkeit auf hohem Niveau anwenden lässt.
Und schon bin ich bei der Lebensphilosophie des Taoismus. Gerade liegt ein kleines, altes Büchlein namens »Wu Wei – Die Lebenskunst des Tao« neben mir, das in den Achtzigern zum Bestseller wurde. Schon auf der ersten Seite stehen Zeilen, die ich nun im »gleichgiltigen« Sinne von Jiří Šalamoun deute:
»Wer je in seinem Leben eine tiefgreifende Existenzkrise durchgemacht hat, erinnert sich vielleicht: die Wende zum Besseren trat genau in jener Phase ein, da man aufgehört hatte zu kämpfen. Aufhören mit sinnlosem Kämpfen, leben im Augenblick, sich nach dem Fluß des Lebens richten – das bedeutet wu wei.«
Wer mit dem Begriff der Gleichgiltigkeit spazieren geht, findet Parallelen, Querverbindungen, Interpretationsansätze. Mich führten sie zum Flow, zum metakognitiven Wissen, zum Tao. In der Äußerung des Prager Illustrators lese ich die Beschreibung eines Zustandes, wie er mindestens für das Illustrieren ideal ist. Er empfiehlt einen Arbeitsmodus, in dem ein Mensch ganz bei sich und seinem Werk ist, nichts erwartend, gleichgültig und trotzdem nicht schulterzuckend.