Glasmalerin Raphaela Knein und Designerin Katja Zukic über Perspektive: »Löse dich vom Detail und schau aufs Ganze«

Seit 1887 entstehen in den Werkstätten für Mosaik und Glasmalerei »Gustav van Treeck« mitten in München Fenster für die prächtigsten Bauten der Welt. Erst kürzlich setzte das Haus die letzte Arbeit des Künstlers Gerhard Richter für die Abtei Tholey um. Ein Gespräch mit Raphaela Knein und Katja Zukic, die das Unternehmen seit fünf Jahren leiten – über die Arbeit mit Richter, das Entstehen von Qualität und frustrierende Preiskämpfe. Fotos: Gerald von Foris

Hinweis: Das Bild oben zeigt neben Raphaela Knein (rechts) und Katja Zukic ein Fenster, wie es im vergangenen Jahr in der Abtei St. Mauritius Tholey eingebaut worden ist. Mehr Bilder zu den »Richter-Fenstern« findet sich auf der Website der Bayerischen Hofglasmalerei Gustav van Treeck

Frau Knein, Frau Zukic, Sie übernahmen »Gustav van Treeck« vor fünf Jahren als Geschäftsführerinnen. Wie stand es damals um die »Bayerische Hofglasmalerei«?
Zukic: Sie war an einem schwierigen Punkt, es gab kaum Kontakte zu neuen Kunden.

Knein: Es gab einen Investitionsstau. Weit vor unserem Einstieg war aufgehört worden, in neue Geräte und Techniken zu investieren. Viele Künstlerinnen und Künstler kamen, besichtigten die Werkstatt und sagten »Hm, ihr habt ja gar nicht die Maschinen, die ich brauche.« Und wir versicherten immer wieder, dass wir trotzdem alles umsetzen können! 

Eine schwierige Situation.
Knein: Es ist schwierig, Vertrauen zu vermitteln, wenn wir die Qualität unserer Arbeit nicht anhand der Ausrüstung oder mit Werkstücken belegen können.

Zukic: Zu dem Zeitpunkt hatten wir auch kaum zeitgenössische Kunstprojekte im Portfolio, keinerlei Formate, die Besucher hätten beeindrucken können.

Sie mussten »die Pipeline füllen«, wie es in der Wirtschaft häufig heißt.
Zukic: Wir mussten auf uns aufmerksam machen. So kam mir die Idee mit der »edition van Treeck«, für die wir mit international bekannten Designerinnen und Designern wie Sebastian Herkner, Sacha Walckhoff, Ayzit Bostan, Elisa Strozyk oder Christian Haas Designobjekte aus Glas entwickelten. Das brachte uns schnell viel Aufmerksamkeit. Und natürlich haben wir investiert und sind nun ausgerüstet wie andere auch. 

Das heißt?
Knein: Wir haben heute zum Beispiel einen großen Airbrushtisch, vor allem eine neue Ätzanlage – die alte war in einem katastrophalen Zustand. Wir mussten unter Bedingungen arbeiten, die nicht angemessen waren.

»Glas hat wunderschöne Eigenschaften wie sonst kein anderes Material: die Leuchtkraft, die Transparenz.«

Mit Glasmalerei verbinde ich vor allem Kirchenfenster. Ist die Kirche heute noch ein wichtiger Auftraggeber?
Zukic: Die Kirchen sind immer noch zu gut 70 Prozent unsere Hauptauftraggeber. Private Bauherren lassen sich zurzeit leider keine Glasmalereifenster in ihre Häuser bauen. Und die öffentliche Hand sieht zwar bei Neubauten einen bestimmten Betrag für Kunst am Bau vor, der wird aber natürlich nicht immer an’s Glas vergeben.

Frau Zukic, Sie sind die künstlerische Leiterin und verantworten Strategie und Kommunikation des Hauses. Wie haben Sie zum Glas gefunden?
Zukic: Meine Steckenpferde sind die Kunst und das Design. Ich mag es, an der Schnittstelle zwischen Gestaltung und Material zu arbeiten. Glas hat wunderschöne Eigenschaften wie sonst kein anderes Material: die Leuchtkraft, die Transparenz. Es wirkt zerbrechlich und stabil zugleich. 

Sie leiten die Werkstatt, Frau Knein. Wie kamen Sie zur die Glasmalerei?
Knein: Ich machte ein Praktikum in einer Glasmalerei und ab der Zeit stand fest, was ich machen möchte. Meine Ausbildung absolvierte ich dann auf der Glasfachschule Rheinbach. 

Was interessierte Sie an dem Handwerk?
Knein: Mein Interesse war … einfach da. Jeder Entwurf kann in unglaublich vielen Varianten aufs Glas übertragen werden, die Arbeit wird nie langweilig. 

Es klopft an der Bürotür und die Künstlerin Mahbuba Maqsoodi kommt herein. Sie sagt den beiden Geschäftsführerinnen, dass sie nun alle Arbeiten für die Fenster der Abtei Tholey beendet habe. Als sie den Raum verlässt, sprechen wir weiter.

Zukic: Mahbuba Maqsoodi arbeitet bei uns derzeit noch an den letzten Fenstern für die Abtei Tholey, genauer gesagt am Südfensterensemble. 

Das ist ein Auftrag, für den Sie beide im vergangenen Jahr bekannt wurden: Neben Maqsoodi entwarf der Maler Gerhard Richter die neuen Fenster im Chorraum der Abteikirche. Wieviele waren es insgesamt?
Zukic: Die ganze Kirche wurde neu mit 34 Fenstern ausgestattet – darunter die drei Chorfenster von Gerhard Richter. 

Wie kamen Sie bei dem Projekt zum Zug?
Knein: Die Abtei veranstaltete einen Künstlerwettbewerb, den Mahbuba Maqsoodi gewann. Parallel schrieben die Mönche aber auch Gerhard Richter einen Brief – mit Erfolg. Die eigentliche Realisierung der Glasfenster wurde dann separat ausgeschrieben. Wir wurden in diesem Prozess zu Gesprächen eingeladen und haben überzeugt. 

Katja Zukic und Raphaela Knein von der Bayerischen Hofglasmalerei »Gustav van Treeck«
Designerin Katja Zukic (links) und Glasmalerin Raphaela Knein von der Bayerischen Hofglasmalerei »Gustav van Treeck«, fotografiert von Gerald von Foris.

Warum war Gerhard Richter zusätzlich angefragt worden?
Zukic: Die Bauherren und die Stifterfamilie, die Kunst liebt, wünschten sich einen international bekannten Künstler. Es war großes Glück, dass Richter ihnen zusagte. 

Für Sie auch, so wie ich es verstanden habe.
Knein: Klar! 

Zukic: Wir durften mit verschiedenen tollen Techniken zwei unglaubliche künstlerische Positionen realisieren. Ein Jahrhundertprojekt für uns. 

Wie war die Zusammenarbeit mit Gerhard Richter?
Zukic: Wir besuchten ihn vor der Corona-Pandemie ein paar Mal und hatten sonst fernmündlich Kontakt – er ist heute 88 Jahre alt und muss daher besonders achtgeben. Es war immer sehr gut ihn zu treffen und mit ihm zu sprechen. Für mich war wichtig, ein Gefühl für den Menschen Richter und für seine Idee von den Fenstern zu bekommen, um ein gestalterisches Konzept für die glasmalerische Übersetzung der Entwürfe entwickeln zu können.

Er bildet auf den drei Chorfenstern eine komplexe Arbeit ab.
Zukic: Basis ist ein gemaltes, abstraktes Bild, das er am Computer digital bearbeitete und durch Spiegelung, Teilung und mehrfach wiederholte Spiegelung über viele Seiten weiterentwickelte und in einem Buch veröffentlichte. Durch diesen Bearbeitungsprozess entstand ein ornament-artiges Motiv, das sich hervorragend eignet, in ein Kirchenfenster aufgenommen zu werden. Für die Abteil Tholey suchte Richter verschiedene Motive aus und fügte sie neu zusammen. 

Klassische Kirchenfenster sind sehr gegenständlich angelegt. Richters Arbeit ist fast das Gegenteil: Ich sehe viele Farbverläufe, Schattierungen, Übergänge.
Knein: Entsprechend haben wir ihm viele Muster geschickt, um die perfekte Umsetzung zu finden. 

Zukic: Gerhard Richter sprach uns sein Vertrauen aus und sagte: »Macht mal, ihr seid die Handwerkskünstler.« Wichtig war zunächst für mich als künstlerische Leitung, die Gestalt seines Werks zu begreifen, zu abstrahieren und dann durch intensive grafische Vorarbeit am Computer den Handwerkerinnen und Handwerkern technische Hilfsmittel bereitzustellen, sodass sie sich beim Umsetzen nicht verkünsteln.

Das heißt?
Zukic: Nicht jeder Strich seiner Vorlage lässt sich akkurat umsetzen. Wir überlegten lange, wie wir vorgehen sollen. Schließlich entschieden wir uns für die Kombination aus akkuraten Vorgaben durch technische Hilfsmittel mit – relativ – freien Glasmalereien. 

Auf Glas, nehme ich an, erzeugen die Motive eine andere Wirkung als auf einer Buchseite oder gar auf einer Leinwand, oder?
Knein: Auf Glas trage ich Farbe immerzu auf, sie zieht aber nicht ein. Wenn ich eine Farbe auftrage und nochmal eine Farbe auftrage, male ich mir in die andere Farbe rein. Ich nehme die vorhergehende Farbe teilweise weg, indem ich die neue Farbe aufbringe. 

Okay.
Knein: Wenn ich auf dem Papier zum Beispiel mit Kohle arbeite und ein menschliches Gesicht schattieren will, trage ich Striche auf und wische mit meinem Finger den Schatten. Wenn ich hingegen ein Gesicht auf Glas schattieren will, überziehe ich es komplett mit einer speziellen schwarzen Glasmalfarbe – und arbeite das Gesicht dann wieder heraus. 

Zukic: Glasmalen bedeutet negatives Malen: Wir nehmen Farbe durch Radieren oder auch durch Ätzen weg. 

»Wir lagen auch alle mal auf dem Boden und schauten durch die Scheiben in den Himmel. Das tat der Qualität so gut: Dass wir uns die Zeit genommen haben, unsere Arbeit kritisch zu hinterfragten.«

Gehen wir einmal gemeinsam zurück in den Arbeitsprozess: Welches Glas verwenden Sie für die Fenster von Gerhard Richter?
Zukic: Die Felder bestehen aus drei Schichten Glas: Auf eine bemalte Industrieglasscheibe kleben wir von hinten und von vorne jeweils eine Schicht mundgeblasenes Glas.

Wie genau verarbeiten Sie die Gläser?
Knein: Das mundgeblasene Glas, in dem Fall sogenanntes Überfangglas, kommt in den Tönen rot und blau aus dem Bayerischen Wald und aus Frankreich. Daraus ätzen wir die Ornamente und legen so die transparente Glasschicht dieser Gläser frei. Auf die Trägerscheibe aus Industrieglas malen wir die Hintergrundmalereien, die dann durch die frei geätzten Stellen des Überfangglases zu sehen sind.

Sie arbeiten vermutlich nicht an den kompletten, großen Fenstern, sondern an Teilstücken, oder?
Knein: Ja, die einzelnen Felder messen circa 90 mal 100 Zentimeter. 

Vor einer Leinwand kann ich als Maler die Perspektive des Betrachters und der Betrachterin recht gut einnehmen: Ich muss nur einen Schritt zurücktreten. Wie schaffen Sie es, so nah am Fenster die Perspektive auf einen Chorraum im Kopf zu halten?
Knein: Glasmalerinnen müssen es schaffen, gedanklich Abstand nehmen. Es tut aber gut, wenn jemand einen dabei an der Hand nimmt. 

Wie meinen Sie das?
Zukic: Das war bei den Fenstern für Tholey häufig meine Aufgabe: Ich habe darauf hingewiesen, dass wir uns nicht im Detail verlieren dürfen, dass wir die Wirkung des Ganzen im Blick halten müssen. Unsere Malerinnen habe ich außerdem immer wieder auf bestimmte erkennbare Formen in den Mustern von Gerhard Richters Bildern hingewiesen. Das war die große Herausforderung: Sie mussten in der komplexen Ornamentik die Formen wahrnehmen, an denen sie sich orientieren konnten und diese buchstäblich großzügig malen. 

Knein: Wir haben die Gläser zwischenzeitlich immer wieder ins Fenster gestellt. Wir lagen auch alle mal auf dem Boden und schauten durch die Scheiben in den Himmel. Das tat der Qualität so gut: Dass wir uns die Zeit genommen haben, unsere Arbeit kritisch zu hinterfragten. 

Welche ist die schwierigste Phase im Erstellungsprozess?
Zukic: Das Vordenken: Wie setzen wir es um? Wie bringen wir die Produktion zum Laufen? Das Malen war dann nicht mehr so schwer.

Knein: Und dann der Punkt, an dem wir den Mut aufbringen mussten und sagen: Nun ist es gut … 

Zukic: … so zeigen wir das dem Herrn Richter, auch wenn wir weiter daran arbeiten könnten. 

Wie arbeiten Sie zusammen?
Zukic: Die gestalterischen Vorarbeiten und das Konzept übernahm ich, auch die Kommunikation mit den Künstlern. Frau Knein leitete das Projekt und verantwortete die technische Umsetzung.

Katja Zukic (links) und Raphaela Knein
»Es ist unglaublich wichtig, dass die Leute in unsere Werkstatt kommen. Wenn wir es schaffen, sie hierher zu holen, haben wir viel gewonnen.«

Was müssen Sie beide besonders gut können?
Zukic: Ich muss die Kunst kennen und verstehen und groß denken können, weil ich im Unternehmen die Strategie mitverantworte. Früher entwickelte ich Kommunikations- und Werbekonzepte, die Vorgehensweisen habe ich noch im Blut. Die edition van Treeck ist ein Beispiel für meine strategische Herangehensweise.

Was müssen Sie können, Frau Knein?
Knein: Ich muss Kunden davon überzeugen, dass wir das, was wir tun aus Leidenschaft tun, und mit viel Know-how. 

Wie funktioniert Überzeugen?
Knein: Wenn ich zeigen kann, was wir machen, geht Überzeugen von selbst. 

Zukic: Es ist unglaublich wichtig, dass die Leute in unsere Werkstatt kommen. Wenn wir es schaffen, sie hierher zu holen, haben wir viel gewonnen. In unseren Räumen können sie in die Welt der Glasmalerei eintauchen und die Tradition spüren. Das ist ansteckend. Künftig wollen wir noch mehr Architekten überzeugen, unsere Arbeiten auch in profanen Bauten einzuplanen.

»In der Restaurierung muss ich sehr ethisch arbeiten«

Frau Knein, woran sehen Sie, ob jemand für den Beruf geeignet ist?
Knein: Er muss Freude am Detail haben und die geduldige Arbeit am Glas wollen. 

Was heißt das im Alltag?
Knein: In der Restaurierung muss ich sehr ethisch arbeiten: Ich muss jede Schraube retten und darf nicht gleich sagen »Ach, die tauschen wir aus, da kaufen wir eine neue.« Wenn mir diese Arbeitsweise nicht liegt und dieser Anspruch nicht da ist, macht mich das Handwerk auch nicht glücklich. 

Zukic: Ein malerisches Talent ist zwingend. Ich muss erkennen, was Künstler brauchen oder haben möchten. 

Ihre Arbeit führt Sie in Teilen weit herum. An welche Aufträge denken Sie besonders gern?
Zukic: Mir fällt die Kathedrale in Dublin ein, bei der wir drei Wochen zum Einbau der neuen Fenster vor Ort waren. 

Knein: Oder Schloss Neuschwanstein: Wir haben im Torhaus, in dem der König vier Nächte geschlafen hatte, die Fenster restauriert. Das Zimmer ist sonst nicht zugänglich.

Ist es einfach, an solche Aufträge zu kommen?
Knein: Oh, ganz im Gegenteil. Manchmal ist der Preiskampf frustrierend. 

Zukic: Wir kriegen viele Aufträge nicht, weil wir schon wegen unseres Standortes mit den Preisen der Wettbewerber schwer mithalten können. 

Die Fixkosten mitten in der Münchner Innenstadt sind hoch.
Zukic: Ja. 

Knein: Aber das allein ist es nicht. Wir arbeiten an den tollsten Gebäuden, an denen die Restaurationen zu den billigsten Preisen vergeben werden – und doch soll die Qualität nur vom Besten sein.

»So kommen die Stücke an ihren richtigen Ort, an ihr Zuhause. Unsere Werkstatt ist ja nur ein temporärer Aufenthaltsort,
wenn Sie so wollen.«

Wie definieren Sie für sich Qualität?
Knein: Qualität habe ich dann erzeugt, wenn ich meine Arbeit mit einem sehr guten Gewissen weitergeben kann. 

Wie kommt dieses gute Gewissen zustande?
Zukic: Durch Präzision. Durch perfekte, präzise Arbeit. 

Was kann im Alltag präzise Arbeit verhindern?
Zukic: Die Zeit. Sie ist unser strengster Richter. Wie perfekt können wir arbeiten? Wann müssen wir loslassen, weil es sonst zu teuer wird? 

Was ist das schwierige am Umgang mit Glas?
Knein: Die Zerbrechlichkeit. Ich kann Glas nicht so kontrollieren, wie ich es möchte. Immer wieder zeigt es mir seine Grenze. 

Ist der Moment des Einbauens besonders heikel?
Knein: Ein falscher Griff kann alles kaputt machen. Grundsätzlich mag ich die Zeit, in der wir die Fenster einbauen: So kommen die Stücke an ihren richtigen Ort, an ihr Zuhause. Unsere Werkstatt ist ja nur ein temporärer Aufenthaltsort, wenn Sie so wollen.

Frau Knein, was geben Sie Ihren Auszubildenden mit?
Knein: Löse dich immer wieder von deinem Tunnelblick bei der Arbeit an der Scheibe. Manchmal arbeite ich an einer Scheibe und da ist ein Aspekt, eine Stelle, ein klitzekleiner Punkt, der mich stört, schon die ganze Zeit, aber ich bekomme ihn nicht weg. Dann kommt häufig Frau Zukic und sagt »Lös’ dich von dem Detail und schau aufs Ganze!«

Das hilft?
Knein: Das hilft sehr. So verhindern wir, dass wir uns »verkünsteln« und unseren eigentlichen Auftrag aus dem Blick verlieren.

Website: Bayerische Hofglasmalerei Gustav van Treeck

Fotos: Gerald von Foris 

Hinweis: Vom Fotografen Gerald von Foris erschienen jüngst zwei Bildbände, die wir hier vorstellen und freundlich zum Kauf empfehlen