Alles aufs Notwendige reduzieren: Was ich von Spieleentwickler Steffen Benndorf gelernt habe

Auf dieser Seite frage ich die Besten eines Faches nach ihrem Wissen und ihrer Weisheit. Der »Meisterstunde« ging eine Seite namens »Fixing Life« voraus, auf der ich mich auch mit gelingendem Leben und Arbeiten beschäftigte. Unter anderem interviewte ich dafür 2016 den Spieleentwickler Steffen Benndorf: Der Ingenieur erfand Spiele wie »The Game« oder »Qwixx«, die beide als »Spiel des Jahres« nominiert waren. Erst kürzlich spielte ich wieder »Qwixx« und dachte an das zeitlose Gespräch mit Benndorf, das zur »Meisterstunde« passt und das ich hier neu veröffentliche. 

Herr Benndorf, wie lange erfinden Sie schon Spiele?
Seit gut fünfzehn Jahren. Anfangs war ich aber sehr fokussiert auf ein ganz bestimmtes Spiel, an dem ich Jahre gearbeitet habe. Erst seit etwa zehn Jahren arbeite ich schneller und vor allem an einfacheren Spielen.

Was meinen Sie damit?
Als Erfinder mangelt es immer an Leuten, die mit mir gemeinsam neue Spielideen ausprobieren. Je aufwendiger die Einarbeitung in die Regeln, desto schwieriger ist es, Testgruppen zu finden.

Mit wem testen Sie?
Vor allem mit meiner Familie und Freunden, aber auch mit Arbeitskollegen.

Haben Sie Kinder?
Ja, und das ist der Punkt: Als meine Frau und ich Nachwuchs bekamen, hatte ich noch weniger Zeit, Spiele außer Haus zu testen. Also habe ich angefangen, mir Entwürfe zu überlegen, die ich alleine testen kann und in deren Spielmaterial ich nicht soviel investieren muss. Noch besser ist es, wenn vielleicht auch schon Kinder mitspielen können.

Ist es ein gutes Zeichen, wenn Kinder bei einem neu entwickelten Spiel dranbleiben?
Ja. Wenn die nur gelangweilt durchhalten, ist es nix.

Qwixx ist ein einfaches Würfelspiel, das ein Erwachsener mit einem Achtjährigen spielen kann – und beide haben Spaß dabei. Hat Sie der große Erfolg dennoch verblüfft?
Mich hat verblüfft, dass es erst kein Verlag machen wollte. Der Redakteur bei Ravensburger war Feuer und Flamme. Er unterzeichnete den Vertrag, dann wurde das Spiel bei der Redaktionskonferenz abgelehnt.

Oh.
Bei Verlagen entscheidet auch der Vertrieb, und der war in dem Fall wohl dagegen. Die haben die Spielidee nicht so recht greifen können. Ravensburger hatte damals außerdem schlechte Erfahrungen mit einem Spiel, bei dem man auch Sachen auf einem Zettel ankreuzen musste. Das war nicht so gut gelaufen.

Verständlich, dass man dann nicht nochmal ins selbe Körbchen greifen will.
Ich wusste aber, dass es den Kennern gefällt und blieb optimistisch. Schmidt Spiele sagte dann aber auch ab. Die haben eine Würfelspielreihe – und denen war das zu ähnlich. Ehrlich, für mich war die Ablehnung vollkommen unverständlich.

Woher nahmen Sie die Sicherheit?
Ich hatte viele selbstgebastelte Qwixx-Prototypen an Freunde verschenkt, mit denen ausdauernd gespielt wurde. Das Feedback war hervorragend. Aus einem Akt der Verzweiflung habe ich deshalb noch beim Nürnberger Spieleverlag gefragt, ob sie es vielleicht produzieren würden. Der Redakteur sagte: ,Das machen wir auf jeden Fall.‘ Er hat das Spiel dann allerdings nochmal vereinfacht. Mir fiel es sehr schwer, das zu akzeptieren. Aus meiner Sicht war es wirklich schon sehr einfach. Er strich abermals Bestandteile, bis es am Ende nur noch ums Würfeln ging.

Wie oft hat sich Qwixx bis heute verkauft?
Mehr als 600.000 mal.

Haben Sie ihm im Angesicht des Erfolges die Vereinfachungen verziehen?
Er hat das richtige getan und das Spiel so rund geschliffen, dass es jeder spielen kann. Man kann das Spiel erklären, während man spielt. Alle sind zu jeder Zeit beteiligt. Anders als etwa bei Kniffel muss man nicht warten, bis man wieder dran ist.

Sie haben eingangs von einem Großprojekt aus der Anfangszeit gesprochen. Welches meinen Sie da?
In meinem ersten Spiel ging es um Ameisen. Jeder Spieler sollte seinen eigenen Ameisenbau vergrößern, indem er in einer Landschaft Dinge einsammelt, mit denen er bauen kann – bis er »König der Ameisen« ist. Ich habe mit reichlich komplizierten Entwürfen angefangen, mit außergewöhnlichen Spielfiguren, die aus Spritzguss hätten gefertigt fertigen müssen. Daneben standen dann noch aufwendige Holzarbeiten, die ich selbst angemalt habe.

Klingt nach großer Kulisse.
Ich dachte damals, dass sich ein besonderes Spiel durch besonderes Material und besonderen Aufwand auszeichnet. Spiel-Redakteure haben auch durchaus Freude an solchen Ideen. Trotzdem muss es die Nische für das Spiel geben – und eine Schachtel, in die alles passt.

Woher kommt der Antrieb, komplex zu bauen?
Ich wollte das perfekte Spiel erfinden. Eine originelle Geschichte, großer Aufbau, alles vollgestopft mit Ideen. Heute weiß ich: Fast jedes Erstlingswerk zeichnet sich dadurch aus, dass es vollgestopft ist mit Dingen, die es nur komplizierter und teurer machen. Dem Spielspaß ist das nicht angemessen.

Was ist heute Ihr Ziel beim Spiele-Erfinden?
Wenn ich ein Spiel machen kann, das sich in einem Satz erklären lässt und dessen Spielreiz unendlich groß ist – dann ist es perfekt. Das perfekte Spiel funktioniert außerdem in jeder Gruppe, egal welche Zusammensetzung.

Sie waren jeweils mit Qwixx und The Game für das Spiel des Jahres nominiert – und haben es zweimal nicht geschafft. Ärgert Sie das?
Ich würde lügen, wenn ich sage, dass da keine Enttäuschung ist. 2015 war ich zum zweiten Mal nominiert und ich kann mir nicht vorstellen, dass ich es jemals wieder schaffe. Soviel Output habe ich nicht und gerade mit einfachen Ideen ist es nochmal ungewöhnlicher, in die Endauswahl des „Spiels des Jahres“ zu kommen. Diese Auszeichnung – „Der Benndorf hat auch ein Spiel des Jahres geschafft“ – wird mir fehlen. Aber ich weiß, dass das Spiel auch ohne diesen Titel ein großer Erfolg sein kann.

Was haben Sie aus Ihrer Arbeit gelernt?
Alles reduzieren auf das, was notwendig ist.