Umwege erhöhen die Ortskenntnis: Was ich aus aktuellen Interviews gelernt habe

Auf dieser Webseite frage ich die Besten eines Faches nach ihrem Wissen und ihrer Weisheit. Aber auch viele Kollegen spüren hilfreiche Lehren über gelingende Arbeit auf. Alle zwei Wochen trage ich sie an dieser Stelle zusammen

1. Der Investor Andy von Bechtolsheim sagt: Nur die Paranoiden überleben

Für das Wirtschaftsmagazin Bilanz sprechen Nele Husmann und Raimund Kusserow mit Andreas von Bechtolsheim über Künstliche Intelligenz und die Entwicklung dieser Technologie in Deutschland. Von Bechtolsheim wuchs nahe München auf, gründete in den Achtzigern Sun Microsystems und investierte 1998 als einer der Ersten in Google. Der Informatiker kann also ganz gut einschätzen, welche unternehmerischen Ideen funzen und was gelingende Innovation ausmacht:

F: Vergleichsweise steht Deutschland doch gut da. A: Man darf sich nicht ausruhen. Nur die Paranoiden überleben! Das haben wir alle im Westen noch nicht richtig verstanden: Die neue Konkurrenz kommt aus China und Indien. Beide Länder haben jeweils mehr Software-Ingenieure als die USA. Der Wettbewerbsdruck steigt. Wenn der Wert von Unternehmen und Wirtschaftsräumen vom Wert der erzeugten Patente abhängt, steht Deutschland heute noch gut da. Aber in Zukunft beschleunigt sich diese Wertschöpfung durch Künstliche Intelligenz und Maschinelles Lernen. Dann ist Wertgenerierung eine Funktion dieser Techniken. Maschinenbau ist wichtig, aber die Software für diese Maschinen ist noch viel wichtiger. Die großen Konzerne müssen viel agiler werden, falls sie nicht zurückfallen wollen. In den vergangenen 50 Jahren verschwanden mehr als 60 Prozent der Fortune-500-Unternehmen – Xerox etwa oder jetzt aktuell General Electric. Die haben die Zukunft verpasst. Kein Unternehmen ist gegen den Wandel immun.

2. Der Schauspieler Alexander Scheer sagt: Umwege erhöhen die Ortskenntnis

Für das ZEIT Magazin spricht Johannes Dudziak mit dem Schauspieler Alexander Scheer. Guter Mann mit dezidierten Ansichten und klaren Ansichten zum Entstehen guter Kunst. Er sagt zum Beispiel: „In unserem Beruf gibt es diese feine Linie zwischen Hingabe und Ambition. Wenn man die Absicht spürt, kann man schon einpacken.“ Ich mag die Stelle, weil ich mich selbst schon dabei ertappt habe, allzu absichtlich gut sein zu wollen. Sobald aber Absicht im Spiel ist, wird es verkrampft. Ach ja, diese Stelle hier ist auch gut:

F: Leander Haußmann hat über Sie auch gesagt, dass Sie nicht Nein sagen können. Nehmen Sie also fast jede Rolle an? A: Das ist das Gute am Älterwerden, man muss nicht mehr alles machen wollen. Ich habe sicher auch viel Grütze gemacht, aber Umwege erhöhen bekanntlich die Ortskenntnis.

3. Die Neurowissenschaftlerin Julia Christensen sagt: Beim Tanzen lernen wir, den Standpunkt des Anderen zu verstehen

Für die FAZ am Sonntag spricht Katrin Hummel mit zwei Neurowissenschaftlern über das Tanzen. Klingt erst ein bisschen verkopft, wird dann aber sehr unterhaltsam. Das Interview ist eine kleine Paartherapie, weil – ach, das soll Frau Christensen selbst sagen:

A: Als Paar zu tanzen ist wie ein gutes Gespräch, denn für unser Gehirn ist Tanzen eine Art Sprache. Wenn man also einfach mal „drüber nachtanzt“, dann verschwindet auch dieses „Verkopfte“ zwischen uns, was wir alle aus dem Alltag nur allzu gut kennen. Bei Paaren, bei denen der Glamour des Verliebtseins schon ein wenig abgenutzt ist, kann Tanzen wahre Wunder bewirken. Nicht nur, weil sie sich in den Armen halten und dabei die Hormone Tango tanzen. Sondern: Beim gemeinsamen Tanzen muss man lernen, den Standpunkt des anderen zu verstehen, sonst legen sich beide auf die Nase; das schult das Einfühlungsvermögen beider Partner. Außerdem macht Tanzen glücklich, und wann lacht man schon mal richtig ausgelassen miteinander? Beim Tanzen gibt’s das inklusive. Und dann kommen vielleicht mit der Musik „von damals“ auch die romantischen Schmetterlinge im Bauch wieder angeflattert.

4. Der Linguist Patrick Voßkamp sagt: Übe dich in begleitendem Sprechen 

Für die Welt spricht Julia Beil mit dem Linguisten Patrick Voßkamp über Smalltalk und gelingende Kommunikation. Natürlich geht es um Tipps für den belanglosen Austausch. Eine Stelle aber sticht hervor: Voßkamp lobt Ärzte, die mit ihren Patienten während einer Untersuchung oder einer Arbeit sprechen. Ich musste unwillkürlich an manche Hotline-Telefonate denken, bei denen ich die Callcenter-Mitarbeiter nach einer Minute Stille fragte: „Sind Sie noch da?“ Warum nicht das verbalisieren, was gerade geschieht? „Moment, ich rufe mal Ihre Daten auf – ah, da sind wir ja.“ Schon wird man vom Kunden zum Menschen.

F: Gibt es Menschen, die Small Talk besonders gut können sollten – bestimmte Berufsgruppen etwa? A: Ein Beispiel sind Ärzte. Stellen Sie sich mal vor, Sie sind Patient und es soll ein EKG gemacht werden. Der Arzt stöpselt Ihnen Elektroden an. In dieser Phase gibt es zwei Möglichkeiten. Erstens: Der Arzt sagt gar nichts, während er Sie verkabelt. Zweitens: Er spricht mit Ihnen. Über Ihren Job, Ihre Hobbys, wie Ihr Tag bisher lief. Sie werden sich sofort wohler fühlen, denn der Arzt zeigt damit, dass er Sie wahrnimmt und weiß, dass er es mit einem Menschen zu tun hat und nicht mit einer Maschine. Was er da macht, nennen wir Linguisten auch empraktische Kommunikation, begleitendes Sprechen.

5. Der Kletterer Alex Honnold sagt: Arbeit fühlt sich perfekt an, wenn keine Bewegung umsonst ist

Für die Süddeutsche Zeitung spricht Nadine Regel mit dem 33-jährigen Kletterer Alex Honnold aus Kalifornien. Er erkletterte als erster Mensch die 1000-Meter-Wand des El Capitan im Yosemite-Nationalpark – die Dokumentation dazu wurde mit einem Oscar ausgezeichnet. In dem Gespräch formuliert Honnold seine Idee von Perfektion:

F: Warum muss es Free-Solo-Klettern sein? Also ohne ein Hilfsmittel. Was fasziniert Sie daran? A: Einfachheit. Das ist das Herzstück vom Freesoloing. Meine Kletterethik orientiert sich an meinem Umweltverständnis: Hinterlasse keine Spuren. Und führe ein einfaches Leben. Außerdem ist Freesoloing sehr effizient. Man hat das Gefühl, dass keine Bewegung umsonst ist, dass man keine Energie verschwendet. Es fühlt sich perfekt an. Wenn man es gut macht.

6. Der Unternehmer Marc Fielmann sagt: Nimm weniger, dann kriegst du mehr

Für die Wirtschaftswoche sprechen Melanie Bergermann und Volker ter Haseborg mit dem Brillen-Unternehmer Marc Fielmann, 29, der das Geschäft vom Vater übernommen hat. Er zitiert einen Satz seines Vaters, der einerseits sehr eng mit der Fielmann’schen Geschäftsphilosophie verbunden ist. Andererseits hat er eine viel größere, weitere Bedeutung, die tief in das Leben hineinragt:

F: Hat Ihr Vater Ihnen einige Grundsätze mitgegeben, an die Sie sich immer halten sollten? A: Ja klar. Einer lautet: „Nimm weniger, dann kriegst du mehr.“ Unsere Brillen sollen so günstig sein, dass sie sich alle leisten können. Wir würden nie den Fehler machen, Kundengruppen, etwa mit weniger Geld, nicht zu bedienen. Der Gewinn pro Brille ist dann vielleicht geringer, aber über die Masse holt man das wieder rein.


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