Wenn du dich nicht so wichtig nimmst, fällt eine Last von dir: Was ich von Schulpsychologin Michaela Huber gelernt habe

Auf dieser Webseite frage ich die Erfahrensten und die Besten eines Faches nach ihrem Wissen und ihrer Weisheit. Aber auch woanders finden sich hilfreiche Lehren über gelingende Arbeit oder gelingendes Leben. Vor einigen Jahren habe ich die erfahrene Schulpsychologin und Lateinlehrerin Michaela Huber getroffen und mit ihr über die Lehren aus ihrer Arbeit und speziell über das Wesen von Trost gesprochen. Die neun Erkenntnisse aus dem Interview sind noch heute hilfreich, besonders Punkt 3.

1. An der falschen Stelle ist ein tiefgründiges Gespräch kein Trost, sondern Stress

Michaela Huber: »Lehrern ist kaum bewusst, mit welch einfachen Mitteln und Gesten sie zumindest eine oberflächliche Form von Trost geben können. Ein Blick, eine Bewegung, ein Satz genügen. Selbst bei einer Banalität wie einer schlechten Note reichen die Worte: Du, wir finden einen Weg. Es geht nicht um Tiefgründigkeit. An der falschen Stelle ist ein tiefgründiges Gespräch kein Trost, sondern Stress.«

2. Trösten klingt nach Reparieren

»Als Schulpsychologin tröste ich nicht. Ich mag das Wort auch nicht. Es klingt nach Reparieren. Dabei ist die Sache, wegen der jemand getröstet wird, in der Regel nicht zu reparieren. Sie ist oft nicht veränderbar. Ein Tod, ein Streit, eine schlechte Note, das alles ist nicht veränderbar. In diesen Situationen hilft nur Trost. Dieses Wort mag ich lieber. Trost hilft, wenn eine Sache nicht veränderbar ist.«

3. Wenn ich mich nicht so wichtig nehme, dann liegt es auch nicht an mir, alle Probleme zu lösen

»Eben, vor Ihnen, ging ein Mädchen aus dem Zimmer. Ich sagte ihr einen Satz, den ich von einer alten Dame habe. Ein wirklich einfacher Satz: Nimm dich selbst nicht zu wichtig. Lassen Sie den Satz mal wirken, er erleichtert das Leben beträchtlich. Wenn ich mich nicht so wichtig nehme, dann liegt es auch nicht an mir, alle Probleme zu lösen. Dann bin ich nicht für alles verantwortlich. Dann fällt eine Last ab und das Leben wird leichter.«

4. Ein Mensch kann sich egoistisch verhalten, muss deswegen aber kein Egoist sein

»Psychologen unterscheiden zwischen Verhalten und Haltung. Oder zwischen Verhalten und Person. Dieser Unterschied ist wesentlich: Ich kann das Verhalten einer Person kritisieren, aber nicht die Person! Ein Mensch kann sich egoistisch verhalten, muss deswegen aber kein Egoist sein. Was ich damit sagen will: Wenn ich die richtige Haltung habe, ist das Verhalten fast unerheblich. Ich erlebe das im Alltag. Ein Lehrer kann einen Schüler mögen, auch wenn der schwierig ist, wenn er frech ist, wenn er immer wieder unangenehm auffällt. Der Lehrer kann streng mit dem Schüler sein, kann sich vielleicht auch mal gegenüber Kollegen über den Schüler ‚auskotzen‘. Und doch kann der Schüler das aushalten, weil er spürt, dass er von eben diesem Lehrer eigentlich gemocht wird. Er weiß: Egal wie ich bin, ich werde nicht aufgegeben.«

5. Man kann Empathie lernen. Wichtig ist es dabei, die eigene Persönlichkeit einzubeziehen

»Viele tun sich schwer, Empathie für andere zu entwickeln. Bei manchen Lehrern, aber auch bei manchen Eltern oder Schülern fällt es auf, wenn man sie im Umgang mit ihren Mitmenschen beobachtet. Nun kann ich einem jungen Kollegen sagen: ‚So wie Sie den Schüler loben, wirkt das seltsam und irgendwie unglaubwürdig‘. Dann sagt er vielleicht: ‚Ich kann das halt nicht – und deshalb mach ich das so, wie man mir gesagt hat, dass ich das so machen soll.‘ Das mag dann so sein. Aber man kann Empathie lernen. Wichtig ist es dabei, die eigene Persönlichkeit einzubeziehen. Das heißt: Ich suche gemeinsam mit dem jungen Kollegen nach einer Ausdrucksform, die er selbst auch als stimmig erlebt. Wie also kann ein Mensch Sympathie und Wertschätzung ausdrücken, die zu seiner Persönlichkeit passt? Darauf gibt es genau eine Antwort: Man muss sich zuallererst die Erlaubnis geben, man selbst bleiben zu dürfen. So entsteht eine richtige, innere Haltung. Daraus entsteht ehrliches Verhalten und wirksamer Trost.«

6. Ich bitte meine Kollegen zurzeit, wieder mehr Leerlauf in den Alltag zu bringen

»Trost braucht Muße. Mein Lieblingsthema, Muße ist Mangelware. Ich bitte meine Kollegen zurzeit, wieder mehr Leerlauf in den Alltag zu bringen. Stillarbeit. Ich habe selbst seit bestimmt 15 Jahren keine Stillarbeit mehr gemacht, weil mir das reaktionär vorkam. Heute finde ich das total wichtig. Einfach mal keine Präsentation, kein Plakat, keine Gruppenarbeit, keine Visualisierung, kein Powerpoint, nix. Nur die Schüler, alleine, mit dem Buch, auf eine Sache zurückgeworfen. So entsteht Ruhe. So entsteht Erdung. Nur ein ruhiger, geerdeter Mensch kann Trost richtig wahrnehmen und Trost geben.«

7. Trost entsteht in der Gewissheit, mit etwas Größerem verbunden zu sein

»Trost hat viele Ausdrucksweisen. Wenn jemand gerne und gut redet, kann er im Gespräch viel Spannung abbauen. Wenn einer das nicht so kann, hat er vielleicht ein Problem. Wenn Eltern sich schwer tun, einen Zugang zu ihren Kindern zu finden, empfehle ich oft ein Haustier – eine Katze, eine Ratte, einen Hamster, ein pelziges Tier, das sich an einen schmiegt. Manchen ist das mehr Trost als alles andere. Trost braucht nicht unbedingt Menschen. Trost entsteht in der Gewissheit, mit etwas Größerem verbunden zu sein. In etwas aufzugehen. In Beziehung zu anderen, in der Welt. Legen Sie sich im Frühjahr in die Blumenwiese und lassen Sie die Sonne auf sich scheinen. Das kann trösten.«

8. Zurück zur Ruhe

»Ich bin seit 25 Jahren Schulpsychologin. Die Probleme der Schüler haben sich in dieser Zeit erschreckend verändert. Früher ging es um schlechte Noten, um Prüfungsängste, um Ärger mit den Eltern. Heute sehe ich Esstörungen, Ritzen, Depressionen, alle Formen der Stressymptomatik. Bei mir sitzen Elftklässer, die sagen: Ich schaffe es nicht mehr. Das ist etwas besonderes. In den ersten zehn Jahren meiner Berufstätigkeit hatte ich kaum einen Elftkläßer in der Beratung, heute hingegen machen Oberstufenschüler ein Drittel meiner Klientel aus. Die Zahlen sind erschreckend. Ich glaube, es fehlt den Schülern an Ruhe.«

9. Der Smartphone-Gebrauch ist da massiv eingeschränkt. Und plötzlich geschieht etwas
»Wir veranstalten jedes Jahr eine Wanderwoche für die Neuntklässer. Der Smartphone-Gebrauch ist da massiv eingeschränkt. Und plötzlich geschieht etwas. Die Schüler fangen an zu singen. Sie suchen alte Brettspiele raus, Mensch ärgere dich nicht zum Beispiel. Sie suchen sich neue Spielsteine, wenn Figuren fehlen und finden im Spiel auf andere Weise zueinander. Sie setzen sich in Verbindung. Sie spüren, dass sie nicht allein sind.«