Schon zehn Minuten Schreiben hinterlassen das Gefühl, etwas geschafft zu haben: Was ich von Schriftstellerin Doris Dörrie gelernt habe
Auf dieser Webseite frage ich die Erfahrensten und die Besten eines Faches nach ihrem Wissen und ihrer Weisheit. Aber auch woanders finden sich hilfreiche Lehren über gelingende Arbeit. Die Regisseurin und Schriftstellerin Doris Dörrie zum Beispiel hat bei Diogenes den wunderbaren kleinen Band „Leben Schreiben Atmen. Eine Einladung zum Schreiben“ verfasst. Auf 274 Seiten formuliert sie das Schreiben als Lebensbegleitung, als Handwerkszeug, mit dem sich die eigene Biografie neu sehen und entdecken lässt.
„Leben Schreiben Atmen“ ist eine Anregung, den Stift in die Hand zu nehmen oder sich an eine Tastatur zu setzen. Doris Dörrie erzählt kleine, schwebende Geschichten und gibt immer wieder niedrigschwellige Anregungen, es doch selbst zu versuchen. „Schreib über ein Kleidungsstück. Eines, das dich verändert hat“ rät sie an einer Stelle. Oder, an einem anderen Ort:
„Schreib über etwas, was du mit Disziplin machst – und wenn es nur Zähneputzen ist. Schreiben braucht Disziplin wie Sport. Der Schreibmuskel ist ein Muskel, der verkümmert, wenn man ihn nicht trainiert. Es fällt einem dann wieder ungeheuer schwer zu schreiben. Aber jeden Tag nur ein bisschen Bewegung, ein wenig Stretching, das reicht. Zehn Minuten, nicht mehr. Zehn Minuten sind immer zu schaffen, da greift die Ausrede nicht, man habe keine Zeit. Stell dir den Wecker. Zehn Minuten, während die Spaghetti kochen, das Bad besetzt ist, der Bus nicht kommt. Im Flugzeug, im Wartezimmer. Nur zehn Minuten.
Die Chance, dass es dann doch noch mehr werden, ist groß. Aber auch nur zehn Minuten hinterlassen das Gefühl, etwas geschafft und geschaffen zu haben, aktiv und kreativ gewesen zu sein. Sie bringen einen in Kontakt mit dem eigenen Leben. Danach fühlt man sich lebendiger.
Überall sind kleine Zeit- und Wartefenster versteckt, die wir inzwischen meist mit Daddeln auf dem Handy verbringen. Stattdessen zu schreiben ist eine Art Ermächtigung: Man holt sich die Zeit zurück. Verpasst sein eigenes Leben nicht mehr.“
In diesen drei Absätzen stecken Gedanken, die es wert sind, in Ruhe betrachtet zu werden. Die Idee vom Schreibmuskel etwa. Oder die Beobachtung, dass wir uns lebendiger fühlen, wenn wir kreativ gewesen sind. Oder der Gedanke, dass wir uns ein Stück Leben zurückerobern, wenn wir das Telefon weglegen und den Stift in die Hand nehmen. Oder dieser Zehn Minuten-Gedanke: Es zählt nicht immer der große Aufriss, wenn es ums Schreiben geht, wenn es um Sport geht, um eine Botschaft an Freunde, um einen Anruf bei Verwandten, um den Beginn eines Projektes. Zehn Minuten sind in vielen Fällen schon okay. Schließlich sind es zehn Minuten.