Nimm dir vor, alle Probleme, die dir begegnen, selbst zu lösen: Was ich von Joseph-Louis Lagrange gelernt habe

Auf dieser Webseite frage ich die Besten eines Faches nach ihrem Wissen und ihrer Weisheit. Wenn das nicht mehr geht, weil ein Meister schon tot ist, hilft im Zweifel die zugehörige Biografie – so wie hier bei dem Mathematiker Niels Henrik Abel.

Vergangene Woche habe ich die Biografie des norwegischen Mathematikers Niels Hendrik Abel gelesen: „Ein aufleuchtender Blitz. Niels Henrik Abel und seine Zeit“. Abel kam 1802 zur Welt und erwies sich als durch und durch hochbegabter Mathematiker, starb aber leider viel zu früh im Alter von 26 Jahren. Der Autor Arild Stubhaug zeichnet Abels kurzes Leben auf mehr als 500 nie langweiligen Seiten nach. Abel war erstaunlich produktiv und brachte die Mathematik seiner Zeit viele Meter voran.

Stubhaug zitiert in seiner Biografie unter anderem Niels Henrik Abels wichtigsten Förderer und Lehrer Bernt Michael Holmboe, der wiederum große Stücke auf den Mathematiker Joseph-Louis Lagrange hielt: Kurz vor seinem Tod hatte Lagrange zu Protokoll gegeben, wie man sich der Mathematik am besten nähert, wie man überhaupt produktiv ist. Holmboe hatte sich diese Worte eigens notiert und sie taugen bis heute nicht nur Zahlenmeistern zur Orientierung:

Nimm dir vor, alle Probleme, die dir begegnen, selbst zu lösen, denn wenn du nur die Lösung eines anderen studierst, lernst du nicht die Gründe kennen, die er hatte, um diese und keine andere Vorgehensweise zu wählen, und du entdeckst auch nicht die Schiwerigkeiten, die ihm auf seinem Weg begegnet sind.

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Studiere nie mehr als ein Werk auf einmal, aber wenn es gut ist, lese es gründlich. Lasse dich nicht gleich von den Schwierigkeiten abschrecken, sondern kehre zwanzigmal zu ihnen zurück, wenn es nötig sein sollte. Bleibt nach solchen Anstrengungen etwas unklar, dann untersuche, wie ein anderer Mathematiker diesen Punkt behandelt hat. Lege das Buch nie aus der Hand, das du dir gewählt hast, ohne es zu beherrschen; aber überspringe, was du gut kannst, wenn es dir erneut begegnet.

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Schließlich habe ich es nie unterlassen, mir für den nächsten Tag eine Aufgabe zu stellen. Der Geist ist träge und man muss der natürlichen Trägheit zuvorkommen und ihn in Atem halten, um alle seine Kräfte zu entwickeln und ihn bereitzuhaben, wenn man ihn braucht. Das ist Übungssache. Eine hervorragende Gewohnheit ist es auch, sich möglichst dieselben Dinge zur selben Tageszeit vorzunehmen, für die schwierigsten Aufgaben demnach die Morgenstunden zu reservieren. Das habe ich vom König von Preußen gelernt und ich habe gemerkt, dass diese Regelmäßigkeit allmählich die Arbeit leichter und angenehmer macht.