Landlust-Gründerin Ute Frieling-Huchzermeyer: »Erfolg entsteht durch die unterschiedlichen Fähigkeiten verschiedener Menschen«

Die »Landlust« gehört zu den meistgelesenen Magazinen des Landes, fast 900.000 Exemplare werden von jeder neuen Ausgabe verkauft. Herausgeberin Ute Frieling-Huchzermeyer gründete das Heft mit anderen im Landwirtschaftsverlag Münster und war bis 2020 seine Chefredakteurin. Ein Gespräch über Gipsengel auf dem Titel, die Wünsche der Leserschaft und was die Redaktion erfolgreich machte. Fotos: Gerald von Foris

Frau Frieling-Huchzermeyer, warum wurde die »Landlust« 2005 gegründet?
Als landwirtschaftlicher Fachverlag dachten wir immer wieder darüber nach, wie wir im Zuge des landwirtschaftlichen Strukturwandels und einer damit verbunden schwindenden Leserschaft neue Geschäftsfelder eröffnen können. Zugleich hörten wir von unseren Lesern der Landleben-Themen oft: »Schade, dass dieser Beitrag nur eine landwirtschaftliche Leserschaft erreicht.«

Wo waren diese Landleben-Themen zu lesen?
Ich war seinerzeit verantwortliche Redakteurin für die Landleben-Seiten des Fachmagazins »top agrar« und sah diese Reaktionen.

»top agrar« liegt bei vielen Bäuerinnen und Bauern in Deutschland auf dem Tisch.
Ja, in der »top agrar« haben wir zwar ganz andere Themen beackert als in der Landlust – aber mir war klar, dass wir mit unserem Themengespür und unserer fundierten Berichterstattung viele Menschen erreichen können. Natürlich startete der Verlag Umfragen im Leserkreis und organisierte Diskussionsrunden mit Leserinnen. Dabei landet man allerdings immer bei dem, was es schon gibt.

Wie meinen Sie das?
Menschen wissen heute nicht, was sie morgen lesen möchten. Innovationen ergeben sich nicht aus Umfragen. Wir haben dem Leser letztendlich ein neues, eigenständiges Angebot gemacht und geschaut, wie er es annimmt. In einem Vorwort habe ich später mal geschrieben: »Wir liefern das, was Sie vielleicht nicht suchen, aber für sich brauchen.«

Wann dachten Sie zum ersten Mal: »Oh, das scheint zu laufen«?
Sehr bald. Unsere Autoren und Fotografen berichteten schnell: »Da draußen geht etwas ab!« Wir hatten schon nach den ersten Ausgaben zahlreiche begeisterte Leserreaktionen mit dem Tonfall: »Hoffentlich könnt ihr dieses Niveau halten.« Es entstand ein Schneeballeffekt: Bereits im ersten Jahr hatte ich das Gefühl, wir haben den Leser am Haken.

Wie lautet Ihre Erklärung für den Erfolg?
Landlust war von vornherein ein Gegenentwurf zu dem, was am Kiosk auslag – thematisch, inhaltlich, optisch und auch in der Leseransprache, der Haltung dem Leser gegenüber. Wobei ich heute einen Schrecken bekomme, wenn ich mir die ersten Hefte und deren optische Erscheinung anschaue. Da sind wir im Laufe der Jahre sehr viel professioneller und vor allem ästhetischer geworden.

Wie würden Sie Ihre Leseransprache beschreiben?
Wir nehmen uns persönlich sehr zurück. Es gibt keine Ich-Form im Heft, auch keine blumigen Ausschmückungen oder emotionale Appelle. Wir beobachten immer für den Leser und beschreiben mit starken Worten, ohne zu werten.

»Man lernt etwas, ohne es zu merken, schrieb uns ein Leser«

In den Jahren nach Landlust-Gründung wurden an deutschen Kiosken ganze Regale für Landmagazine ähnlichen Zuschnitts eingerichtet. Alle wollten ein Stück von dem Kuchen, den Sie gebacken hatten. Machte Ihnen die Zahl der Nachahmer je Angst?
Angst vor den aufkommenden Mitbewerbern hatte ich nicht – anders als manche Kollegen im Verlag. Ich wusste um unseren Hintergrund und unsere Fähigkeiten.

Sie meinen, die Verankerung in einem landwirtschaftlichen Fachverlag gab Ihnen das nötige Selbstbewusstsein?
Hier denke ich an das Know-how in der Redaktion, die nicht aus dem Landwirtschaftsverlag stammt, sondern von mir aufgebaut wurde. Fast alle Redakteure absolvierten ein Fachstudium und kamen in vielen Fällen über ein Volontariat in die Redaktion. Der breite fachliche Hintergrund, die Nähe zu den Lebenswelten der Landlust und die gemeinsame Haltung dem Leser gegenüber ermöglichten uns, authentisch zu berichten und nicht Klischees zu bedienen.

Gab oder gibt es ein Credo, mit dem Sie festlegten, welche Geschichten ins Heft dürfen und welche nicht?
In dem breiten Themenspektrum gilt die Maxime: echt und authentisch, wahrhaft und wertorientiert.

Das bedeutet?
Auf jeden Fall nicht Mode und Mainstream in den Themen, sondern Traditionelles modern interpretiert und Verborgenes ans Licht geholt. Die Mischung der Beiträge ist wichtig. Bodenständige Berichte und naturkundliches Wissen werden ergänzt durch Schönes und Ästhetisches, unsere Floral- und Kreativthemen. Und dann gehört gutes Essen – sprich: leckere Rezepte – zu einem Heft, mit dem ich mich vom Alltag zurückziehe und es mir gut gehen lasse. Wichtig ist in allen Bereichen der Nutzwert für den Leser. Was vorgestellt wird, muss nachvollziehbar und nachmachbar sein.

Welches Wissen oder Können braucht es, um ein Heft wie die »Landlust« zusammenzustellen?
Dabei spielen Sensibilität, Empathie und Bauchgefühl eine große Rolle.

Die Sprache in der Landlust empfinde ich immer als direkt und schnörkellos …
»Man lernt etwas, ohne es zu merken«, schrieb uns ein Leser. Ich komme aus dem Fachjournalismus, wo es darum geht, komplizierte Sachverhalte einfach und leicht verständlich darzustellen, Leserklippen zu vermeiden und den Leser im Beitrag zu halten. Mein Motto lautet: »Man nehme einfache Worte und sage außergewöhnliche Dinge.«

Landlust-Herausgeberin und Gründungschefredakteurin Ute Frieling-Huchzermeyer, fotografiert von Gerald von Foris
Landlust-Herausgeberin und Gründungschefredakteurin Ute Frieling-Huchzermeyer, fotografiert von Gerald von Foris

Manche Ihrer Anleitungen wurden zur Legende. Ich denke an die Gips-Engel, die viele Jahre im ganzen Land zu Weihnachten vor Hauseingängen standen. Freunde berichteten mir, dass sie in der Apotheke keine Gipsbinden mehr bekamen, weil diese eine Zutat waren. Welche Bedeutung hatte und hat die Do-it-yourself-Komponente für die Landlust?
Ach, unsere Anleitungen, da gibt es zahlreiche Beispiele, die zu Materialknappheit führten und die Redaktion im Leserservice regelrecht überrollten. Bastelsterne zu Weihnachten sind jedes Mal ein Renner. Diese Kreativthemen sind ein wichtiger Part im Heft. Dahinter stecken aber auch sehr kreative Kolleginnen mit außergewöhnlichen Ideen. Diese Geschichten haben schon wesentlich zum Auflagenschub beigetragen: Mit den Gipsengeln auf dem Titel knackten wir seinerzeit die Millionenauflage.

Mir fiel in all den Jahren auf, dass Menschen und mehr noch die Geschichten von Menschen im Heft eine untergeordnete Rolle spielen. Stets steht die Natur im Vordergrund, der Garten, das Rezept, die Sache. Ist das Absicht?
Ja, genau. In der Landlust geht es um die Geschichte, die wir Lesern zur Inspiration und Wissensvermittlung erzählen. Der Protagonist ist nur der Vermittler. Deshalb kommen Promis im Heft bisher nicht vor. Wir suchen nach Ideen und Menschen im Verborgenen …

Ich erinnere mich an den Mann, der Treibtöpfe für Rhabarber macht, an den Ornamentschnitzer, den Feuerschalenmacher …
Das sind Menschen, auf die man so schnell nicht aufmerksam wird, die aber eine starke individuelle Persönlichkeit und Geschichte haben, die sich eng mit ihrer Arbeit oder ihrem Können verbindet.

Welches Wissen oder Können war Ihnen zu Landlust-Zeiten besonders dienlich?
Hm, da ist schon mein Hintergrund ins Heft eingeflossen. Ich bin der Ackerbauer als Gärtner und gehe viele Dinge viel pragmatischer an als die »Topfgärtner«. Ich war immer diejenige, die in der Redaktion die praktische Seite vertrat, nach dem Motto: »Leute, das geht auch einfacher.« Zugleich war es mir immer wichtig, dass wir in den Land- und Naturthemen neutral und ausgewogen berichten, nicht einseitig und polemisch gefärbt. Den Hintergrund dafür lieferten meine Herkunft, mein Landwirtschaftsstudium, meine Ausbildung zur Fachredakteurin durch einen sehr kritischen Mentor – und natürlich der landwirtschaftliche Betrieb meiner Familie, auf dem tagtäglich in und mit der Natur gearbeitet wird.

»Mit den Gipsengeln auf dem Titel knackten wir die Millionenauflage«

Viele Anzeigen in der Landlust waren früher auf der linken Seite einer Doppelseite positioniert, wo doch die rechte Seite die eigentlich kundenfreundlichere wäre, weil sie Leserinnen und Lesern schnell ins Auge fällt. Ist die Positionierung ein Privileg, das sich ein erfolgreiches Magazin leisten kann?
Das haben wir in der Tat so gemacht und das sind die Anzeigenkunden seinerzeit auch mitgegangen, weil sie wussten, dass unsere Leser sehr sensibel auf Werbung reagieren, die Lesefluss und Tonalität des Beitrags stört. Zugleich profitierten die Werbenden in unserem aufgeräumten Heft von einer starken Wirkung ihrer Anzeige. Seit wir die Anzeigen im Joint Venture mit Gruner+Jahr vermarkten, wird das allerdings nicht mehr so gehandhabt.

Die Teilhabe der Leserinnen und Leser an Ihrer Arbeit schien mir immer intensiv. Die Leserbriefe lesen sich wie echte Reaktionen, nicht nur Kommentare: Die Menschen teilen Ideen, seien es Hustenrezepte, Ausflugstipps, Hinweise auf die kleinste Holzkirche Deutschlands, Hinweise auf bestimmte Dialektwörter, Kindheitserinnerungen. Welches Bedürfnis der Menschen haben Sie aus den Reaktionen herausgelesen?
Wir haben uns in unserer Arbeit immer auf Augenhöhe mit dem Leser begeben, ohne uns dabei anzubiedern. Die Themen, Locations und Protagonisten haben wir sehr kritisch geprüft und dann ins Heft gebracht, ohne sie zu inszenieren. »Was wir vorstellen, muss man vorfinden«, lautete das Credo. »Was wir schreiben, muss stimmen.« Wir rücken zur Wohnreportage nicht mit einem Stylisten an, und unsere Rezepte für Fotostrecken sind auch für den Verzehr gedacht. Dadurch erzielten wir eine sehr hohe Glaubwürdigkeit in der Leserschaft.

Zugleich las ich in einem Editorial von Ihnen, dass es auch mal viel wurde, wenn Menschen um Ideen zur privaten Festgestaltung baten oder sich neben den schönen Bildern auch Angaben zur verwendeten Kamera, Belichtungszeit und Brennweite wünschten.
Ja, wir fungierten als Anlaufstelle für alle möglichen Anliegen. Das war eine sehr schöne Bestätigung, konnte aber auch anstrengend sein.

»Meine Aufgabe begriff ich immer darin, die gewollt unterschiedlichen Fähigkeiten der Kollegen zu fördern und daraus das beste Gesamtergebnis entstehen zu lassen.«

Wie war Ihr Bild von der Leserschaft zu Beginn der Arbeit, wie ist es heute?
Wir sind mit unserem Angebot im Heft auf Menschen mit einer bestimmten Lebenshaltung getroffen. Das waren nicht die lauten, sondern eher die zurückhaltenderen Menschen, die man im Marketing gern übersieht, die sich als Ausgleich zum Alltag für Natur, den Garten und ein »gutes Leben« interessieren. Viele fühlten sich durch die Landlust erstmals in ihren Bedürfnissen verstanden. Wir hörten häufig den Satz: »Landlust ist die erste Zeitschrift, die ich abonniert habe.« Das war immer eine sehr homogene Gruppe über Geschlechter und Altersgruppen hinweg, eine geschlossene Lesergemeinde mit großer Begeisterung für unsere Inhalte. Mit dem Auflagenwachstum und dem Zeitgeist entsprechend differenzierte sich die Leserschaft. Sie wurde in Teilen politischer, kritischer und sprunghafter. Wenn eine Ausgabe die persönlichen Erwartungen nicht erfüllt, ist der Tonfall in der Leserreaktion dazu schon mal daneben. Das haben wir früher nicht gekannt.

Was zeichnete Ihre Arbeitsweise mit und in der Redaktion aus?
Ich bin ein Eins-zu-eins-Mensch. Innerhalb und außerhalb der Redaktion hörte ich häufig, dass meine Geradlinigkeit geschätzt wird. Und dann war ich bei der Entstehung des Heftes immer  absolut begeisterungsfähig: Ich lache laut und rufe schon mal »ein Hammer!« durch die Redaktion, wenn mir etwas Tolles auf den Schreibtisch kommt. Man sagt, ich wirke motivierend.

Wir organisierten Sie die redaktionelle Arbeit?
Ich verstehe mich als Blattmacher und habe mich zu 100 Prozent um die Redaktion und das Heft gekümmert, auch jeden Beitrag gelesen und entsprechende Rückmeldungen gegeben. Ansonsten hatten wir flache Hierarchien in der gut 20-köpfigen Redaktion, wir waren sehr schlank organisiert. Wir hatten wenige und eher kurze Konferenzen, dafür gab es immer einen direkten Draht zwischen mir und der Redaktion. Die Themen wurden in den einzelnen Ressorts geplant und entwickelt und nicht in einer Gesamtkonferenz – übrigens mit einem Vorlauf von einem Jahr, weil wir die Fotos in der Regel saisonal selbst produzierten.

Welche Idee leitete Ihre Arbeit?
Ich sah in der Redaktion immer ein Start-up. Meine Aufgabe begriff ich immer darin, die gewollt unterschiedlichen Fähigkeiten der Kollegen zu fördern und daraus das beste Gesamtergebnis entstehen zu lassen.

Was haben Sie in den vergangenen Jahren gelernt, das Sie anderen Chefs weitergeben würden?
Was ich eben angedeutet habe: Erfolg entsteht durch die unterschiedlichen Fähigkeiten verschiedener Menschen und Charaktere. Diese zu fördern und zu einem Team zusammenzubringen ist eine lohnende Aufgabe.

»Es gibt in so vielen Bereichen noch so viele offene Fragen –
ein willkommenes Betätigungsfeld für fundierten Journalismus.«

Inzwischen gibt es eine Reihe von Landlust-Spin-offs, also weitere Magazine unter derselben Marke. Wie viel Fokussierung ist für den Erfolg wichtig, wie viel Erweiterung nötig?
Da bin ich Old School: Spin-Offs kann man für Zielgruppen machen, die die Themenspanne des Heftes nicht nutzen oder nicht nutzen wollen. Mit dieser Prämisse haben wir seinerzeit auch das sehr erfolgreiche Landlust-Sonderheft »Weihnachten« ausgegliedert. Diese Produkte dürfen aber nicht das Hauptheft kannibalisieren, denn das Hauptheft geht für mich immer vor, weil man damit auch im Anzeigenmarkt den größten Hebel hat. Bei allen anderen Erweiterungen denke ich langfristig und nachhaltig – und würde mir wünschen, dass das aufgebaute Markenversprechen dabei nicht vor die Hunde geht.

Was raten Sie Menschen, die heute neue Medienmarken aufbauen wollen?
Auch wenn es unpopulär ist: Setzt auf den Lesermarkt.

Das ist in einer Zeit, in der Menschen vor allem digital lesen keine einfache Sache, weil im Digitalen die Wertschöpfung kleiner ist.
Dabei denke ich durchaus an Print! Das Netz ist aus meiner Sicht schwierig über eine Bezahlschranke zu monetarisieren, dort ist zu viel kostenlos unterwegs. Das Netz kann aber zusätzlich den Bekanntheitsgrad fördern. Aber ein hochwertiges, gründlich aufbereitetes Printprodukt mit Inhalten, die so im Netz nicht verfügbar sind, findet aus meiner Sicht eine zahlungsbereite Leserschaft. Es gibt in so vielen Bereichen noch so viele offene Fragen – ein willkommenes Betätigungsfeld für fundierten Journalismus.

Weiterführende Links: Landlust, Ute Frieling-Huchzermeyer

Fotos: Gerald von Foris 

Hinweis: Vom Fotografen Gerald von Foris erschienen jüngst zwei Bildbände, die wir hier vorstellen und freundlich zum Kauf empfehlen