Die Kabarettistin Martina Schwarzmann über ihre Bühnenpräsenz: »Ich bin immer mehr zu der geworden, die ich eh schon bin«

Sie hat fast alle verfügbaren Kabarettpreise gewonnen und sich in weit über 2000 Auftritten eine große Anhängerschaft erspielt: Ein Gespräch mit der Kabarettistin und Liedermacherin Martina Schwarzmann – übers Programmschreiben, den roten Faden ihres Schaffens und Tipps für den gelingenden Bierzeltauftritt. Fotos: Gerald von Foris

Frau Schwarzmann, wie entwickeln Sie Ideen für ein neues Programm?
Wenn ich weiß, dass ein neues Programm ansteht, bin ich selten ohne Zettel unterwegs. Ich habe zuhause eine Holzkiste, in die ich die Ideen dann immer reinschmeiße. Zusätzlich trage ich in meiner Arbeitshose ein inzwischen ziemlich dreckiges Notizbuch rum. Da drin sammle ich alles, was mir während der Hofarbeit einfällt.

Ihr Mann ist Landwirt und Sie helfen ihm viel. Das heißt, Ihr Programm entsteht zum Teil auf dem Bauernhof?
Ich schreibe sehr viel am Acker, zum Beispiel beim Unkrauthacken, weil ich da die Ruhe habe und allein bin – vor mir der leere Horizont und über mir nur der Himmel. Das macht mich von den Gedanken her so frei, dass ich empfänglich werde für gute Ideen.

Sind die Ideen auf den Zetteln denn beim zweiten Lesen immer noch so gut wie im Moment des Aufschreibens?
Um das geht es in dem Moment nicht. Erst wenn ich die Idee festgehalten habe, wird mein Kopf wieder frei und ich kann weiterdenken. Ich schreibe auch oft, wenn ich allein Auto fahre, auf dem Heimweg von Auftritten: Wenn mir etwas einfällt, bremse ich an einer Bushaltestelle und schreibe zum Beispiel zwei Strophen von einem Lied auf. Erst dann kann ich mir Gedanken über die nächste Strophe machen.

»Bei vielen Liedern weiß ich sogar, auf welchem Acker ich sie geschrieben habe«

Wäre es nicht einfacher, mit dem Diktiergerät des Smartphones zu arbeiten?
Ich habe kein eigenes Handy.

Ah, okay.
Eine Zeit lang habe ich schon überlegt, mir ein Aufnahmegerät zu kaufen. Dann sind die Ideen aber so unsichtbar als Datei da drin. Mir ist es lieber, sie sind draußen und schwarz auf weiß auf Papier.

Verbinden Sie einzelne Ihrer Lieder oder Erzählungen mit einem bestimmten Entstehungsort?
Bei vielen Liedern weiß ich sogar, auf welchem Acker ich sie geschrieben habe …Tatsächlich?
… und was da gewachsen ist!
Die Kabarettistin Martina Schwarzmann, fotografiert von Gerald von Foris
Die Kabarettistin und Liedermacherin Martina Schwarzmann, fotografiert von Gerald von Foris

Ist zum Beispiel das Lied vom »flach zamgfahrna eitrockneten Frosch« auch mit einem bestimmten Platz verknüpft?
Der Frosch lag wirklich platt und zusammengefahren vor unserer Garage. Den habe ich über Wochen hinweg auf dem Weg zum Auto gesehen. Danach habe ich mir auf der Fahrt immer wieder neue Strophe des Froschliedes ausgedacht.

Sie phantasieren in dem Lied über die verschiedensten Verwendungsmöglichkeiten für den Frosch: Mal sehen Sie in ihm einen möglichen Teebeutel, mit dem sich ein Heißgetränk für einen erkälteten Storch machen ließe.
Genau!

Oder wie es wäre, wenn Sie den Frosch laminieren und als Fliegenklatsche einsetzen würden, und wie die Fliegen mit einem »Du? Hier?« reagieren würden.
Ach, es gibt noch viel mehr Strophen zum Frosch, weil ich mir auf jeder Fahrt wieder was ausgedacht habe.

Entstand das Lied in erster Linie über den Sprechrhythmus vom »flach zamgfahrna eitrockneten Frosch« oder mit den Ideen zu den Verwendungsmöglichkeiten für das tote Tierchen?
Jedes Lied entsteht anders, aber hier hat mir vor allem der Rhythmus vom »flach zamgfahrna eitrockneten Frosch« gefallen. Aus dem Rhythmus der Worte ergibt sich der Rest von alleine.

»Das mag ich: Verschiedenspurig denken in verschiedenspurigen Welten, mit verschiedener Logik.«

Ein amerikanischer Comedian sagte in einem Interview, dass er besonders gern mit harten Konsonanten arbeite, weil die mehr Druck und Wirkung erzeugen.
Darauf schaue ich nicht. Es geht darum, wie das Wort sich beim Singen anfühlt. Meine Lieder gehen häufig von Wörtern aus, die mir gefallen.

Welcher Ihrer Songs zeigt besonders gut, wie Sie denken?
Kennen Sie meine Liedermacher-CD?

Ja.
Wo der Pinguin am Bahnsteig steht – das ist, wie ich denke.

Können Sie die Stelle zitieren?
»Der Pinguin steht am Bahnsteig / und sucht nach’m Winter. Aber der Fahrplan geht nur bis Herbst / und dann kommt nix mehr dahinter.«

Das ist schön.
Das mag ich: Verschiedenspurig denken in verschiedenspurigen Welten, mit verschiedener Logik. Das Ergebnis kombiniere ich dann zu etwas, über das man nachdenken kann.

Eine Ihrer Erzählungen widmet sich Ihrem Cousin Bernie: »Der Bernie ist der Bub von der Tante Helga. Den haben’s ein bisschen spät gekriegt. Also, sie war sich eigentlich sicher, dass sie in die Wechseljahre kommt. Dann haben’s den noch gekriegt.« Dann machen Sie eine fein gesetzte Pause und fügen hinzu: »Und so ist der.« In einem Mitschnitt dieser Szene von einem Auftritt im Zirkus Krone lachen sich die Leute scheckig.
Das mag ich sehr gern: Sachen sagen, ohne dass ich sie gesagt habe. Ich lasse in dem Moment einen logischen Schritt aus, den aber jeder im Kopf mitgeht. Die Lücke ist dadurch gar keine, weil sie jeder selbst ausfüllt.

Bauen Sie solche Pointen bewusst?
Ich habe mir übers Pointenbauen nie Gedanken gemacht. Ich weiss nur, was ich lustig finde, und das sind eben Sachen, die nicht ausgesprochen sind. Daran hat das Publikum sowieso den meisten Spaß: Die Leute freuen sich über Gedanken, auf die sie selbst gekommen ist.

»Wie schwarz darf es für den Zuschauer sein? Wie grob ist okay? Das muss ich bei jedem Programm live mit dem Publikum rausfinden, das kann ich nicht vorher planen.«

Wir treffen uns, während Sie Vorpremieren zu Ihrem siebten Programm spielen. Was geschieht im Rahmen der Vorpremiere?
Alle Auftritte mit dem neuen Programm vor der Premiere sind für mich noch Testauftritte. Dort schau ich, wie es für die Leute ist. Bei der Gelegenheit fallen mir auch Sachen auf, mit denen ich mich auf der Bühne nicht wohl fühle, weil ich mir das vorher häufig anders vorstelle, als es in echt ist.

Verstehe.
Außerdem habe ich einen sehr schwarzen Humor und muss immer wieder neu herausfinden, in welcher Heftigkeit ich etwas erzählen kann. Wie schwarz darf es für den Zuschauer sein? Wie grob ist okay? Das muss ich bei jedem Programm live mit dem Publikum rausfinden, das kann ich nicht vorher planen.

Welche Rolle spielt das Publikum für Sie, während Sie singen – suchen Sie sich einzelne Gesichter heraus, für die Sie spielen, oder lassen Sie den Blick neutral durch die Menge wandern?
Früher hatte ich es am liebsten dunkel vor der Bühne, so dass ich kaum jemanden sehen konnte. Bei den Nachholveranstaltungen im vergangenen Sommer habe ich häufig auch nachmittags draußen gespielt, bei Tageslicht. Das war in dem Umfang neu für mich. Inzwischen habe ich so einen Spaß, den Leuten zuzuschauen, wie die eine Gaudi haben! Ich muss mich sehr konzentrieren, dass mich das nicht zu sehr ablenkt, weil manche wirklich stark reagieren und aufeinander deuten oder einander in die Seite hauen. An einer Stelle mache ich im Programm eine Umfrage: »Wer hatte in den letzten 14 Tagen so viel Geschlechtsverkehr, wie er gerne gehabt hätte? Bitte die Hand heben.« In einer Nachmittagsvorstellung wollte sich ein älterer Herr gerade melden, als ihm seine Frau den Arm runtergehauen hat. (lacht) Sowas ist der Wahnsinn für mich: Ich habe wirklich viel Spaß dran, dem Publikum zuzuschauen. Manchmal mache ich mir auch einen Spaß daraus, noch mehr aus den Leuten zu kitzeln, die nicht so lachen. Ich denke dann: »Dich knack’ ich jetzt«.

Gehört Mut dazu, das Publikum und seine Reaktionen auszuhalten? Wenn Sie sich auf einen besonders mürrisch dreinblickenden Herrn konzentrieren, kann einem das doch den Spaß verderben.
Ich habe genügend schwierige Situationen erlebt und daraus gelernt. Früher zum Beispiel habe ich zum Teil auf der Straße vor vorbeilaufendem Publikum gespielt. Ich habe im Bierzelt gespielt, wo nebenan die Gläserspülmaschine lief. Ich habe bei einem Starkbierfest gespielt, wo das Publikum grölend auf den Bänken stand und Parolen gegen mich schrie. Ich hatte auch schon Abende, an denen ich dachte: Heute hat es niemandem gefallen – und hinterher haben mir die Leute persönlich gesagt, dass sie total begeistert sind. Es gibt einfach Menschen, die immer grantig schauen und trotzdem einen super Abend haben. In den vergangenen 20 Jahren habe ich sicher über 2000 Auftritte gespielt. Durch die Erfahrung ruhe ich heute auf der Bühne in mir selbst. Das passt schon.

Die Kabarettistin Martina Schwarzmann, fotografiert von Gerald von Foris
»Der rote Faden bin ich: Es geht immer um das, was ich in meiner aktuellen Lebensphase erlebe«: Martina Schwarzmann

Sie laden gerade immer wieder Nachwuchskünstlerinnen zu Ihnen auf die Bühne, sozusagen als Fördermaßnahme. Welche Tipps geben Sie Kolleginnen oder Kollegen, wenn die Sie fragen?
Hm, über Bierzeltauftritte, da könnte ich nach all den Jahren sicher ein Buch schreiben.

Was ist bei Bierzeltauftritten im Vergleich zur Halle oder zur klassischen Bühne anders?
Im Bierzelt ist es oft heller als in klassischen Bühnen und die Leute können sich sehen. Die fangen dann gern das Ratschen an. Deshalb darfst du beim Bierzeltauftritt zwischen deinen Stücken keine Lücken lassen – weil sonst die Gespräche anfangen. Auch wenn das Publikum zum Lachen oder Klatschen aufhört: Sofort weitermachen! Und wenn du trinkst und vorher groß dem Zelt zuprostest, ist es nachher unruhig. Deshalb immer trinken, ohne was zu sagen. Wichtig auch, am Anfang: Wenn ich auf die Bühne gehe und laut bin, bleibt das Publikum auch laut. Deshalb besser auf die Bühne kommen und erstmal ruhig sein. Dann wird das Publikum auch ruhig.

»Wenn ich von zwei Tagen spielen schon müde bin und noch fünf Tage vor mir habe. Dann fahre ich in den Wald, weil ich dann eine Stunde Grün vorm Gesicht brauche.«

Wie lerne ich gutes Timing?
Wie lang was sein muss, das steuere ich immer aus dem Bauch, das erspüre ich mit der Zeit. Ich vergleiche meine Arbeit deshalb auch mit dem Surfen: Die Stimmung des Publikums ist mein Meer und ich muss immer zusehen, dass ich die Welle richtig erwische.

Legen Sie sich eigentlich einen roten Faden ins Programm, an dem sich alles orientiert?
Der rote Faden bin ich: Es geht immer um das, was ich in meiner aktuellen Lebensphase erlebe.

Wenn ich mich an Ihre Programme zurückerinnere, dann würde ich sagen: Ihnen geht es immer wieder ums Zufriedensein und darum, die Dinge zu nehmen wie sie sind. Ganz gleich ob in der Liebe, im Alltag oder beim Älterwerden.
Ja, es sind eben immer Aspekte, die meine jeweiligen Lebensphasen beschreiben. Mein letztes Programm hieß »Genau richtig«, weil mein Leben so, wie es damals war, genau richtig war. Das neue Programm heißt »Ganz einfach«: Wenn ich Sachen ganz einfach mache, komme ich mit dem Leben am besten zurecht.

Wie genau meinen Sie das?
Mein Sohn hat neulich einen Kommunionsanzug gebraucht. Meine Nachbarin hat drei Buben, die alle schon Kommunion hatten. Ich bin zu ihr rüber und hab’ gefragt, ob sie sie was in der Größe da hat? Sie hatte ein Kommunionsgewand da, ich hab’s mir für das Wochenende geliehen und zurückgebracht und mir einen Tag rumfahren und 500 Euro gespart. So versuche ich durchs Leben zu gehen: Wie ist es am einfachsten? Kühlschrank aufmachen, schauen, was da ist – und dann was kochen. Ganz einfach.

Für eine solche Erkenntnis hilft wahrscheinlich auch die Lebenserfahrung.
Es ist sicher so, dass ich mit den Jahren gelassener werde, egal ob privat oder auf der Bühne. Ich bin immer mehr zu der geworden, die ich eh schon bin.

Das ist schön formuliert.
Weil ich mich traue, die auch zu sein. Ich fahre zum Beispiel ein Auto, das ist bunt angemalt, immer dreckig, 400.000 Kilometer auf dem Tacho. Vor zehn Jahren wäre ich mit dem Auto nicht zum Auftritt gefahren, jetzt finde ich es extralustig, wenn ich den fertigsten Karren habe. Mir ist wurscht, was die Leute denken, wenn ich mit einem solchen Auto daherkomme.

Die Kabarettistin Martina Schwarzmann, fotografiert von Gerald von Foris
»Ich erzähle mein Programm ja jeden Abend zum ersten Mal einem neuen Publikum, das sich daran freut. Für diese Freude spiele ich«

Sie haben zu Beginn Ihrer Laufbahn teilweise 216 Auftritte im Jahr gemacht. Wie bewältige ich einen solchen Marathon, ohne wahnsinnig zu werden?
Damals war es echt wild. Diesen Sommer aber auch wieder, im Juli habe ich meinen Monatsrekord geknackt: 27 Auftritte.

Das ist viel!
Alle verschobenen Veranstaltungen mussten nachgeholt werden. Ein ausverkauftes Bierzelt mit 2000 Zuschauern zum Beispiel wurde wegen der Abstandsregeln auf vier Einzelveranstaltungen je 500 Personen aufgeteilt. Das war schon knackig. Da habe ich auch gemerkt, dass es zu viel wird. Und wenn es zu viel wird, muss ich in den Wald.

Woran merken Sie, dass es zu viel wird?
Wenn eine Unruhe kommt und ich nicht mehr runterkomme. Wenn ich von zwei Tagen spielen schon müde bin und noch fünf Tage vor mir habe. Dann fahre ich in den Wald, weil ich dann eine Stunde Grün vorm Gesicht brauche.

Mit welcher Wirkung?
Das entspannt mich. Das habe ich auch früher immer gemacht, wenn um vier Uhr früh eines der Kinder mit Zahnweh aufgewacht ist: Ich hab’ dann das Tragetuch umgebunden, meine Gummistiefel angezogen und bin mit dem Kind in den Wald marschiert.

Wie kommen Sie nach Ihren Auftritten wieder runter?
Das ist kein Problem. Wenn ich vom Auftritt heimkomme, setze ich mich hin, mache mir das Mittagessen nochmal warm, esse in Ruhe und lese dabei die Zeitung. Das liebe ich, wenn ich bei wenigstens einer Mahlzeit am Tag komplett meine Ruhe habe.

Sagen Sie, nutzt sich die Freude am Auftreten jemals ab?
Überhaupt nicht. Ich erzähle mein Programm ja jeden Abend zum ersten Mal einem neuen Publikum, das sich daran freut. Für diese Freude spiele ich und diese Freude finde ich selbst nach zehn Vorstellungen in zehn Tagen immer noch geil. Nur das viele Rumfahren, das nervt inzwischen.

Fotos: Gerald von Foris

Hinweis: Vom Fotografen Gerald von Foris erschienen jüngst zwei Bildbände, die wir hier vorstellen und freundlich zum Kauf empfehlen.

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