Der Geigenbauer Peter Erben über seine Werkstücke: Ein Instrument ist dann gut, wenn ich keine Lust habe, Fehler zu suchen

Peter Erben gehört zu den renommiertesten Geigenbauern des Landes. In seiner Werkstatt im dritten Stock eines Altbaus in der Münchner Innenstadt baut er jeden Monat  ein neues Instrument. Tag für Tag werden dort Geigen, Celli oder Bratschen repariert und klanglich optimiert. Ein Gespräch über Geigenbauerstammbäume, Sommerinstrumente und den Punkt, an dem Kritik verstummt. Fotos: Gerald von Foris

Herr Erben, wo sind Sie aufgewachsen?
In Bubenreuth bei Erlangen. Meine Wurzeln liegen in Schönbach, einem Ort im Egerland.

Die Region gilt neben Mittenwald als ein Zentrum des Geigenbaus.
In meiner Familie gab es immer jemanden, der Geigen baute. Im ganzen Dorf lag Holzstaub in der Luft.

Als ich eben in Ihre Werkstatt kam, haben Sie armgroße Hölzer von einem Stapel genommen und aneinandergeschlagen. Wozu?
Ich wähle das Holz für ein neues Instrument aus, das ich bauen möchte. Für einen Großstadtgeigenbauer mache ich relativ viele neue Instrumente…

Moment, was bedeutet Großstadtgeigenbauer?
Geigen wurden früher auf dem Land gebaut und zum Verkauf in die Stadt geliefert. Deshalb waren die Geigenbauer in den Städten vor allem mit Reparaturen beschäftigt. Ich habe mich freigeschwommen und in den vergangenen Jahren vor allem neue Instrumente gebaut. 

Was unterscheidet Reparatur und Neubau?
Wer repariert, muss mehr Geduld haben. Beim Leimen von Rissen ist eine hohe Perfektion gefordert, damit die Reparatur unsichtbar bleibt. Dazu braucht es Spezialisten, die Risse mit Lack zum Verschwinden bringen. Wenn ich das machte, würde es nicht gut ausschauen. Bei einem neuen Instrument hingegen kann ich frei arbeiten.

Entwickelt jeder Geigenbauer eine Zuneigung zum einen oder anderen Arbeitsmodus?
Ja, mein Sohn sagt, er wolle keine neuen Instrumente bauen. Das sei ihm zu emotional. 

Wie meint er das?
Sie bauen etwas, sind davon überzeugt und begeistert. Dann geht das Instrument raus an den Musiker, zum Probieren – und gelegentlich kommt es vor, dass es  nicht genug Anklang findet. Es kommt zurück und Sie müssen nacharbeiten. 

Das kann wehtun.
Sie vergießen viel Herzblut, ehe ein Instrument in die freie Wildbahn geht. 

Treffen Sie sich zum Einspielen mit den Kunden in der Werkstatt?
Ja, der Kunde kommt, probiert, nimmt das Instrument mit, spielt drei Wochen, kommt wieder. Es ist wie beim Tuning in der Formel 1: Ich muss nachjustieren, den Stimmstock verändern, die Saiten verändern, den Steg. Es gibt Möglichkeiten. Nur das Äußere des Instruments lässt sich nicht mehr ändern.

Ob einem Menschen ein Instrument behagt, hat vermutlich viel mit der Persönlichkeit des Musikers zu tun.
Allerdings. Je häufiger ich mit meinem Instrument die Persönlichkeit eines Kunden treffe, desto besser.

Den Kunden sehen Sie nach dem Kauf aber nur noch für Reparaturen, oder?
Das ist das Problem. Wenn ein Bäcker gute Semmeln backt, hole ich jeden Tag neue bei ihm. Bei uns kommt es bestenfalls vor, dass der Kunde nach einer Geige noch eine Bratsche bestellt. Allerdings ist es natürlich schon so, dass sich zu den Kunden, die ein Instrument von mir kaufen, sehr häufig eine langjährige persönliche Beziehung entwickelt und die Musiker dann auch immer wieder kommen, um ihr Instrument warten, pflegen, einstellen und reparieren zu lassen. Aber die meisten kaufen nur ein Instrument, das dann für sie perfekt sein muss.

Macht dieser Anspruch Ihre Arbeit interessanter?
Er macht sie aufregender. 

Verkaufen Sie viele neue Geigen?
Ja, etwa eine im Monat. Allerdings war es den Musikern lange Zeit wichtig, vor allem alte Instrumente zu spielen, weil die angeblich besser eingespielt seien.

Gibt es denn einen Qualitätsunterschied zwischen alt und neu?
Es gibt Blindtests, die beweisen, dass man bei der Qualität keinen Unterschied hört. Ich selbst kann nicht sagen, was besser klingt. Neue Instrumente haben heute aber auch aus anderen Gründen mehr Platz am Markt: Die Welt der klassischen Musik ist größer geworden. Auch Studenten in China wollen alte Instrumente spielen. Diese werden teurer und seltener. Somit werden neue Instrumente wieder interessanter. 

Woher kommen ihre Kunden?
Aus Mexiko, Taiwan, Japan, Norwegen oder der Schweiz. Wir haben Kunden, die kommen für die Reparatur eines Steges eingeflogen. Es ist wie beim Arzt: Wenn man einmal einen gefunden hat, dem man traut, dann bleibt man. Meine Tochter fährt 200 Kilometer zu ihrem Zahnarzt. Ich persönlich verstehe das nicht, aber wenn sie das Vertrauen hat…

Sie haben sich selbstständig gemacht. Wie lange braucht es, einen Kundenstamm aufzubauen?
Ich arbeite noch immer daran. Viel läuft über Empfehlung: Wenn du was Gutes ablieferst, dann redet man. Noch mehr redet man über das Schlechte in der Welt, das ist eh klar. Gute Nachrichten verbreiten sich langsamer.

Hat Sie Ihre Familiengeschichte zum Geigenbauer gemacht?
Als Jugendlicher hatte ich großes Fernweh, weil ich mich mit meinen Eltern nicht verstand. Ich hatte verrückte Berufsideen, von Schiffskoch bis Landschaftsgärtner. Mein Vater hat es immer geschickt verstanden, mir die Nachteile klar zu machen. Er schärfte mir ein, dass man als Koch immer dann arbeite, wenn andere frei hätten. Irgendwann blieb dann nur noch der Geigenbau übrig und mein Vater ermöglichte mir die Ausbildung in Mittenwald. Danach ging ich noch ein Jahr nach England, dann zum Militär, dann fand ich eine Anstellung beim Geigenbauer Wörz in München und lernte viel über Reparatur. Ich lernte auch, wie man Kunden bedient, erfuhr mehr über den Einkauf und den Verkauf, ich hatte einen vertrauensvollen Chef. Dann sah ich ein neues Instrument und sagte: Das kann ich besser und preiswerter! Mich packte der Ehrgeiz und ich begann, neue Instrumente zu bauen. Heute baue ich jeden Monat ein Instrument und kann es auch verkaufen. Damit bin ich sehr zufrieden. 

Nun endlich zurück zum Holz, das Sie vorhin geprüft haben. Nach welchen Kriterien?
Beim Ankauf von Holz schaut man erst nur einen Querschnitt an, verhandelt und kauft. Am nächsten Tag prüft man jedes Stück und schaut, ob der Preis gerechtfertigt war.

Und, wie wars gestern?
War gut, sehr schöne Sachen, Ahorn und Fichte, ein Geigenbauer hat sein Lager aufgelöst. Fichte habe ich allerdings schon selbst geschlagen, die muss ich eigentlich nicht zusätzlich haben. 

Was bedeutet „selbst geschlagen“?
In einem Wald in Südtirol habe ich drei Mal mithilfe eines Försters eine Fichte ausgesucht und fällen lassen – wir haben das Datum sogar nach der Mondphase bestimmt. Seitdem habe ich so viel Fichtenholz gelagert, dass ich noch heute keines nachkaufen müsste. 

Eine schwere Geige mag niemand. Also muss ich abwägen: Suche ich das schnellste Holz, das leichteste Holz? Suche ich Holz, das schön ausschaut?

Wie alt waren die Bäume?
220 Jahre. Sie hatten einen Stammdurchmesser von knapp einem Meter. 

Besorgen sich alle Geigenbauer ihr Holz auf diese Weise?
Das macht man nur, wenn man die Produktionsmöglichkeiten ausreizen will. Das Holz macht immerhin ein Fünftel der Qualität einer Geige aus.

Wie verbauen Sie Ahorn und Fichte in einer Geige?
Boden, Zarge und Schnecke bestehen immer aus Ahorn. Die Decke mit den Schalllöchern entsteht aus Fichte. 

Welches Holz ist entscheidender?
Es ist besser, wenn beides gut ist. Also muss ich einen guten Boden für eine gute Decke finden. So fängt man an, das Instrument aufzubauen. Ich brauche Stunden, ehe ich zwei Hölzer gefunden habe, die zusammen später ein Instrument ergeben. Wenn die keine Lust haben, zusammen zu harmonieren, wird es schwierig. 

Was hören Sie, wenn Sie die Hölzer aneinanderschlagen?
Ich höre, wie sich der Ton aus dem Holz löst. Es gibt Hölzer, die klingen dumpf, träge und langsam. Es gibt welche, bei denen der Schall in einem hellen „Ping“ abstrahlt, sodass einem das Ohr wehtut. Ich muss zwei Hölzer zusammensuchen, von denen ich denke, dass sie eine Symbiose eingehen. Dann lege ich sie nebeneinander, schaue, vergleiche…

Und das Wissen darum, was gut harmoniert …
…muss man sich im Lauf der Zeit erarbeiten. Das Problem ist: Wenn ich eine hohe Schallgeschwindigkeit habe, kann es sein, dass ich auch ein hohes spezifisches Gewicht im Holz habe. 

Das bedeutet?
Eine schwere Geige mag niemand. Also muss ich abwägen: Suche ich das schnellste Holz, das leichteste Holz? Suche ich Holz, das schön ausschaut? 

Nun macht das Holz ein Fünftel der Qualität aus. Was sind andere Faktoren?
Der Umriss, die Wölbungsformen, die Stärke des Materials. 

Was ist Ihre Eigenheit?
Es gibt Geigenbauer, die formen den Rand stärker und die Mitte schwächer. Es gibt Geigenbauer, die formen die Mitte stärker. Ich forme die Mitte stärker.

Im Eingangsbereich Ihrer Werkstatt hängt ein Familienstammbaum, der am 23. April 1837 beginnt. Sehe ich dort die Geigenbaudynastie der Familie Erben?
Auf der Seite meines Vaters schon. Das sind Namen, die im Geigenbau bekannt sind. 

Suchen Sie beim Kauf nach Geigen aus der Familie?
Ich mag es, wenn sie auftauchen. 

Ich sehe im Stammbaum den Familiennamen „Klier“…
Seine Geigen kommen mir häufiger unter. Die Geigen von „Wilfer“ und „Sandner“ sind auch berühmt. 

Wenn Sie also einen dieser Namen sehen, wissen Sie: Das ist einer meiner Vorfahren.
Ja, allerdings wurde in Schönbach nicht immer signiert. Dort wurden einfache Geigen in Massen hergestellt. Später kristallisierte sich eine Gruppe von Geigenbauern heraus, die bessere Waren produzierte. Nur die besten Instrumente wurden mit Zettel und Inschrift versehen. 

Wie fühlt es sich an, Instrumente in der Hand zu haben, die Ihre Vorfahren bauten?
Gut. Es gibt Kollegen, die sagen, ich sei wie Obelix in ein Bad gefallen, in ein Geigenbauerbad. 

Erkennen Sie an den Instrumenten etwas von sich wieder, Ähnlichkeiten, Vertrautes?
Nein, ich kann nur die Provenienz zuweisen. 

Was macht ihre Geigen aus?
Wollen Sie den Klang charakterisiert haben? Das ist schwierig. 

Gibt es einen Übertrag Ihrer Persönlichkeit auf das Werkstück?
Klar. 

In welcher Form?
In klanglichen Formen. Ich baue warm und dunkel klingende Instrumente mit einer guten Tragfähigkeit, mit einer Ausgeglichenheit im Klang. Viele Musiker sagen, sie könnten in den Klang eintauchen. Sie finden es angenehm, im Ton zu baden. Hell und schrill und silbrig klingende Geigen sind nicht meine Welt. 

Woran erkennen Sie, dass ein Werkstück besonders gelungen ist?
Hm. Ich arbeite immer nur an einem Instrument und bin voll bei der Sache. Ich mache keine Serieninstrumente. Ich vergleiche nicht.

Ist dieses Bei-der-Sache-Bleiben die Voraussetzung dafür, dass es gut wird?
Ich glaube schon. Auch die Stimmung, die im Lauf des Monats herrscht, ist wichtig. 

Klingt ein Juli-Instrument anders als ein Dezember-Instrument? 

(Es antwortet Ruben Defendi, einer der Mitarbeiter aus Peter Erbens Werkstatt:) „Ich baue eine Geige im Jahr. Im Sommer habe ich andere Empfindungen. Wenn ich im Sommer an der Schnecke arbeite und im Winter am Korpus, dann sieht der Korpus rasch nach Winter aus und die Schnecke nach Sommer. Das passt nicht zusammen. Darum ist es gut, wenn ich durchgehend an einem Instrument arbeite. Das wird dann entweder ein Winter- oder ein Sommerinstrument.“

Peter Erben: Ruben spricht etwas Interessantes an: Es gibt nicht die eine Geige, es gibt vielmehr viele Stücke, die man an einer Geige betrachten kann. Da ist die Schnecke, da ist der Lack, da sind die f-Löcher, die Wölbungsformen, der Umriss. Ich kann alle Einzelteile für sich beurteilen. Eine Geige ist aber nur dann wirklich gut, wenn ich das Instrument anschaue und keine Lust habe, Fehler zu suchen. Das ist die Stelle, an der Handwerk zu Kunst wird; Sie schauen ein Instrument an und sagen nicht: Schönes f-Loch. Schöne Schnecke. Schönes Holz. Sie haben keine Lust auf Einzelkritik und sagen nur: tolle Geige! 

Wie erzeugt ein Geigenbauer dieses Gefühl?
Die Kunst ist es, ein Instrument aus einem Guss zu bauen, in einer gewissen Flüssigkeit zu arbeiten. Baue ich erst die Schnecke, mache dann eine Pause und baue erst dann den Boden, entwickelt sich meine Hand weiter. Sie passt dann nicht mehr zur Ausarbeitung der Schnecke. Für ein Instrument, das ich vor zwei Jahren anfing, nahm ich mir eine Stradivari zum Vorbild. Entsprechend habe ich die Schnecke geformt. Nun sind zwei Jahre vergangen und ich nehme die Arbeit wieder auf — und baue eine neue Schnecke. Die Erste gefällt mir nicht mehr, sie passt nicht rein. Es kann sein, dass sie für immer auf meiner Werkbank stehen bleibt und braun wird. Ich kann den Unterschied sehen, aber nicht erklären. 

Foto: Gerald von Foris