Globenhersteller Torsten Oestergaard über Einfälle: Wenn alle über eine Idee lachen, höre ich besonders gut hin

Der 1909 gegründete »Columbus Verlag« ist die älteste Globenmanufaktur der Welt: Torsten Oestergaard verkauft mit seinem Traditionsunternehmen die Erde im Kleinformat. Jetzt ringt er mit den Folgen eines Großbrandes auf dem Werksgelände und den Auswirkungen der Pandemie. Ein Gespräch über die Krise als Vergrößerungsglas, das Führen von Menschen und den wichtigen Moment in einem Brainstorming. Fotos: Gerald von Foris

Herr Oestergaard, wie geht es Ihnen?
Gesundheitlich gut. Mit allen anderen Dingen müssen wir uns auseinandersetzen. 

Im Januar gingen durch Brandstiftung zwei Hallen auf ihrem Produktionsgelände in Flammen auf. Tausende von Globen und Karten des Columbus Verlages wurden vernichtet, der Schaden beträgt bis zu 1,5 Millionen Euro. Wie steht es um das Unternehmen?
Das ist schwierig zu sagen, weil wir noch nicht wissen, wie hoch die Versicherungsleistung sein wird. Wegen der Corona-Krise sperrten im März dann auch noch unsere Fachhändler zu und wir konnten keine Globen mehr verschicken. 

Eine schwierige Lage.
Wir begannen Überstunden abzubauen. Unsere Mitarbeiter machten sich an die Grundreinigung des Betriebes und fingen aus eigenem Antrieb mit Renovierungsarbeiten an. Gemeinsam gestalteten wir den Verkaufsraum neu, strichen alle Büros. Dieses Engagement erfüllt mich immer wieder mit großen Emotionen, jeder setzt sich für Columbus ein. Inzwischen produzieren wir wieder.

Wie viele Kolleginnen und Kollegen arbeiten bei Columbus?
Hier arbeiten zwischen 40 und 50 Menschen. 

Welcher Produktionsteil ist der größte?
Das ist die Produktion der Globen und dort vor allem die sogenannte Handkaschierung, in der meine Mitarbeiterinnen die Landkarte auf die Kugel kleben: Wir beschäftigen allein 20 Kaschiererinnen. 

Wie beeinträchtigt der Brand die Produktion?
Wir können das meiste, das verloren ging, wieder einkaufen und besorgen. Vom Kampf mit der Versicherung und der Furcht vor einer neuerlichen Brandstiftung abgesehen sind die Beeinträchtigungen mehrheitlich emotionaler Art. Können Sie sich an die Spiele erinnern, die Ihnen in Ihrer Kindheit besonders viel Freude machten?

Sicher.
Ich spielte zum Beispiel gerne mit der Eisenbahn, baute sie gemeinsam mit anderen auseinander oder vergrößerte sie. Ich zimmerte mit Freunden Seifenkisten oder legte einmal einen Gartenteich mit ihnen an. Immer wieder gelang es mir, andere für eine Idee zu begeistern und dann gemeinsam Grenzen zu sprengen – weil wir Freude an unseren Projekten hatten. Bei Columbus ist es ähnlich: Was wir hier zusammen machen, macht uns Freude. Nun hat uns der Brandstifter im übertragenen Sinne unsere Seifenkiste kaputtgemacht. Deshalb tragen wir einen immensen finanziellen, aber auch einen emotionalen Schaden davon. 

Der Globenhersteller Torsten Oestergaard, fotografiert von Gerald von Foris
Torsten Oestergaard hinter der Presse, die einen Teil der »Columbus«-Globen formt.

Zum Verständnis: Was genau ging kaputt?
Zwei Hallen, in denen Fertigerzeugnisse standen, sowie Vorrichtungen, mit denen wir ganze Modellreihen fertigten. 

Der Fall gilt bis heute als nicht aufgeklärt.
Es gab einen Verdächtigen, der dann wegen fehlender Beweise freigelassen wurde. Wir haben das Werk inzwischen mit Kameras und Sicherheitstechnik ausgestattet.

In welcher Phase der Verarbeitung des Brandes stecken Sie?
Manchmal steht mein Erwachsenen-Ich im Vordergrund und fragt sich »Was braucht es, um diese Seifenkiste wiederherzustellen?« Dann kommt wieder mein Kind-Ich und fragt »Warum nur wurde mir das kaputtgemacht?« 

Sie sind hin- und hergerissen.
Wir haben alle gemeinsam viel geweint und dabei gemerkt, wie stark uns der Brand die Freude an der Arbeit genommen hat. Daraus entstand dann aber auch der Impuls, unsere Seifenkiste neu und vielleicht sogar ein bisschen schöner aufbauen zu wollen.

»Das Virus vergrößert alles wie durch eine Lupe. Wer vorher ängstlich war, wurde mit dem Virus panisch. Wer vorher mit der Welt unzufrieden war, weist nun sehr vehement anderen die Schuld an der Misere zu.«

Kurz nach dem Brand schlich der Corona-Virus ins Land. Wie nehmen Sie die Folgen der Pandemie wahr?
Sie belastet, eindeutig. Wir liegen am Boden, versuchen uns aufzurichten, sind schon auf den Knien – und kriegen dann den Sandsack in den Rücken gelegt.  

Hm.
Die alte Welt vor Corona wird es so nicht mehr geben. Davon bin ich überzeugt. Der Mensch ist der Markt und der Markt ist der Mensch. Der Markt verändert sich dauerhaft, weil sich der Mensch gerade verändert. Corona sitzt nun in uns allen: Wir sind alle Corona-positiv, auch wenn wir nicht die Symptome Atemnot und Fieber zeigen. Das Virus hat uns verändert. 

Wie?
Es vergrößert alles wie durch eine Lupe. Wer vorher ängstlich war, wurde mit dem Virus panisch. Wer vorher mit der Welt unzufrieden war, weist nun sehr vehement anderen die Schuld an der Misere zu. 

Wie beeinflusst das Virus Ihre Arbeit?
Wenn die These stimmt, dass das Virus vorhandene Eigenschaften verstärkt, dann ist das hoffentlich bei uns auch so: Wir waren immer offen für neue Ideen. Deshalb denken wir nun noch intensiver darüber nach, wie wir uns dieser neuen Welt anpassen können.

Können Sie absehen, wie sich Ihr Geschäft verändert?
Wir entwickeln neue Ansätze für die Vermarktung. Viele Fachhändler zum Beispiel brauchen eine attraktive Ladenfläche, um Kunden zu gewinnen. Wir möchten diesen Fachhändlern eine exzellente Globen-Ausstellung ins Schaufenster stellen: Jeden Globus statten wir mit einem trackbaren QR-Code aus – kauft ein Kunde über diesen Code, wird der Fachhändler mit einer Provision am Verkauf beteiligt. 

Der Globenhersteller Torsten Oestergaard, fotografiert von Gerald von Foris
Der Globenhersteller Torsten Oestergaard, fotografiert von Gerald von Foris

Sie sprachen eben von Ihrem Spielzeug, Ihrer Seifenkiste, die zerstört worden sei. Mir fiel ein Rat ein, der Schülern gegeben wird, die nicht wissen, was sie werden soll: »Überleg dir, bei welchem Spiel du als Kind die Zeit vergessen hast – und such in dieser Zone nach deiner möglichen Berufung.«
Das ist meine grundlegende Haltung beim Einstellen von Mitarbeitern: Ich suche keine Ingenieure, die gelernt haben, wie man Gartenteiche baut. Ich suche vielmehr Freunde, die ich für meine Idee von einem Gartenteich begeistern kann. Bei uns zählt nicht, was du bist, sondern wer du bist. 

Okay.
Ich suche nicht nach einer Fähigkeit, sondern nach Freude. Fast jeder hat einen dieser Menschen im Bekanntenkreis, der in seiner Freizeit mit viel Liebe zum Detail Häuser umbaut, einen Garten pflegt oder Autos herrichtet. Dabei machen diese Menschen im Beruf ganz andere Dinge. 

Was folgern Sie daraus?
Wenn Menschen Freude an einer Arbeit haben, entsteht Leistung von alleine. Ich frage in Einstellungsgesprächen »Was können Sie besonders gut?« Vielen fällt die Antwort schwer und ich frage dann »Was würde ihr Partner sagen, was Sie besonders gut können?« Spätestens mit dieser Frage öffnen sich die Gedanken und das Gespräch wird locker. 

Was können Sie selbst besonders gut?
Gute Frage. Ich glaube, ich kann Menschen mitnehmen. Ja, das ist es, was ich gut kann: Menschen begeistern und verstehen. Weil ich ein ehrliches Interesse an meinem Gegenüber habe. 

Wächst einem diese Fähigkeit zu?
Ich habe sie eher entdeckt und dann weiterentwickelt. Irgendwann sah ich, dass mir die Menschen folgen. Auch nach dem Brand. Noch bei der Weihnachtsfeier hielt ich eine Rede, in der ich alle, die bei Columbus arbeiten als Columbianer ansprach – und ich bin sozusagen der Häuptling der Columbianer. Nach dem Brand haben wir hier viel gearbeitet und ich sagte zu einer Mitarbeiterin, die unermüdlich im Haus war, sie solle bitte ein paar Tage frei machen.»Sie sind unser Häuptling«, entgegnete sie. »Das haben Sie selbst gesagt. So lange sie nicht vom Pferd steigen, steigen wir auch nicht runter.« 

»Welche Bedeutung hat nun mein Heimatort? Welche Bedeutung habe ich selbst? Das sind die Fragen, die sich beim Betrachten ergeben.«

Was wurde eigentlich aus dem Gartenteich in Ihrer Kindheit, von dem Sie eben sprachen?
Wir haben damals als Kinder die Tüten genommen, in die im Betrieb meines Vaters die großen Globen gehüllt waren. Gemeinsam buddelten wir ein Loch im Garten, legten es mit den Tüten aus, fingen Kaulquappen und setzten sie ein. Der Teich war keine Sache von Dauer, weil zu wenig Sauerstoff reinkam. Aber unser Engagement war rückblickend zumindest bemerkenswert: Wir formulierten ein gemeinsames Ziel, los ging es, jeder leistete einen Beitrag, keiner war der Chef. Für die Seifenkisten suchten wir tagelang im Sperrmüll nach geeigneten Rädern. Später bauten wir alte Fernseher auseinander und verdrahteten die Lautsprecher neu …

Was ist am gemeinsamen Arbeiten so befriedigend?
Hier bei Columbus können wir wegen der großen Fertigungstiefe jeden Arbeitsschritt von der Idee bis zum fertigen Produkt verfolgen. Wir sehen dadurch den Erfolg eines neuen Produktes, das wir geplant und gebaut haben. Wenn Sie hingegen zum Beispiel Platinen bedampfen, die besonders leitfähig sind, ist das innovativ und spannend – aber Sie sehen nicht immer das fertige Produkt und damit das Ergebnis Ihrer Arbeit. 

Wie entwickeln Sie neue Ideen?
Wir waren kürzlich beim Wohnmobilhersteller Hymer in Bad Waldsee zu Besuch …

Sie sind Wohnmobil-Fan, wenn ich das richtig weiß.
Das stimmt. Bei Hymer trafen wir zufällig den Chefdesigner von Swarowski. Wir kamen ins Gespräch und überlegten gemeinsam, ob es möglich ist, personalisierte Globen zu bauen, auf denen wir bestimmte Plätze mit Swarovski-Steinen hervorheben. In Österreich entwickelte Swarovski dann einen Brillantschliff, der nach unten offen ist, damit das Licht aus dem Globus nach außen getragen wird. In unserer eigenen Swarowski-Stube werden nun Tausende von diesen Steinen auf Globen gesetzt, die dadurch personalisiert werden.

Was ist Ihnen beim Entwickeln von Ideen wichtig?
Wenn alle über eine Idee lachen, höre ich besonders gut hin.

Das bedeutet?
Wenn ein Mitarbeiter in einer Besprechung etwas vorschlägt, das so abwegig klingt, dass die anderen instinktiv auflachen, weiß ich: Da steckt mehr dahinter. Nur eine Idee, die eine solche Reaktion auslösen kann, bringt uns weiter; nur ein Vorschlag außerhalb der Vorstellungskraft des potenziellen Kunden erzeugt ein solches Überraschungsmoment. So sind wir vor sechs Jahren auf den Audiolernstift gekommen, mit dem ich den Globus erkunden kann: Sobald ich einen Ort antippe, bekomme ich Texte vorgelesen oder kann Filme ansehen.

Verändert sich Ihr Zugang zum Leben, wenn Sie täglich die Welt vor sich sehen?
Manche unserer Globen zählen mehr als zwei Meter Durchmesser und funktionieren wie Magneten: Sie ziehen die Menschen an wie eine unsichtbare Kraft. Ich erlebe, wie die Betrachter dann versinken und sich der Verhältnisse bewusst werden – wie groß zum Beispiel der afrikanische Kontinent ist, wie klein dagegen Europa oder Deutschland. Welche Bedeutung hat nun mein Heimatort? Welche Bedeutung habe ich selbst? Das sind die Fragen, die sich beim Betrachten ergeben.

Weltenkugeln aus Krauchenwies
Weltenkugeln aus Krauchenwies von »Columbus«.

Wie organisieren Sie Ihre tägliche Arbeit?
Der Tag beginnt damit, dass ich mit fast jedem Mitarbeiter ein kurzes Wort führe. Wie war die Nachtschicht? Wie geht es der Familie? Durch diesen morgendlichen Gang bestimmt sich sicher ein Drittel meines Tages, weil ich mich dann mit den Anliegen und Problemen befasse. Danach folgen kurzfristige Besprechungen und viele variable Termine. Die Tage sind schon ein bisschen chaotisch, wir versuchen, das besser zu organisieren. 

Der Columbus Verlag stammt ursprünglich aus Berlin. Sie selbst dürften Ihrem Namen zufolge skandinavische Vorfahren haben, oder?
Ja, die Oestergaards kommen aus Dänemark. Der »gaard« bezeichnet mehr oder weniger den Bauernhof. Und nachdem Grundbesitzer in Dänemark früher nach den Himmelsrichtungen benannt wurden, in denen sie von einem bestimmten Zentrum aus lagen, waren meine Vorfahren die Oestergaards, die Bauern im Osten. Als mein Urgroßvater dann nach Berlin auswanderte, gab er den in Dänemark üblichen Strich durch das O auf.

Das Unternehmen zog später von Berlin nach Krauchenwies in Baden-Württemberg. Warum?
1955 wurde Berlin eine Insel im Beschaffungs- und Absatzmarkt. Also versuchte mein Großvater einen neuen Standort zu finden. Damals warben München und Stuttgart um die Ansiedlung neuer Verlage und wir entschieden uns für Stuttgart und später Krauchenwies.

Ergibt sich aus der langen Geschichte des Columbus Verlages eine Belastung für Ihre Arbeit?
Nein. Zwar werben wir damit, der älteste Globenhersteller der Welt zu sein, auf die Produktion aber hat das keinen Einfluss. Die Qualität der Globen speist sich aus der Erfahrung der vergangenen 30 Jahre. Revolutionieren lässt sich das Produkt Globus natürlich nicht mehr, aber wir schauen ihn immer wieder an und überlegen, wie wir ihn besser machen können.

Fotos: Gerald von Foris