Der Geigenbaumeister Michael Jaumann über Großzügigkeit: Sie kommt zigfach zurück

Im dritten Semester seines Elektrotechnikstudiums erkrankt Michael Jaumann an Krebs – und sieht im Krankenhaus einen Film, der sein Leben verändert. Im Interview spricht der Münchner über seine Art des Geigenbaus und das Lernen durch Nachahmen; außerdem redet er über seine Angewohnheit, jeden Arbeitsschritt mit Kamera zu dokumentieren – und eine Gesellschaft, die sich nur dann entwickelt, wenn die Menschen weitergeben, was sie lernen. 

Herr Jaumann, Sie sind seit mehr als zwanzig Jahren Geigenbaumeister und arbeiten mit drei Kollegen in einer Vier-Zimmer-Altbauwohnung in München. Können Sie sagen, wie viele Kunden Sie in etwa haben?
4000.

Sind Ihnen diese Menschen treu?
Die Musiker kommen zum Beispiel sogar bis aus Singapur eigens nach München. Und sie kommen immer wieder. Ich habe Kunden, die im Alter von drei Jahren mit einer Geige aus meiner Werkstatt das Spielen lernten und heute als Berufsmusiker mit meinen Instrumenten unterwegs sind. Diese Menschen wurden mit meinen Arbeiten erwachsen. 

Wie entstehen solch lange andauernde Beziehungen?
Wenn sich ein Musiker einmal für einen Geigenbauer entschieden hat, dann hat er den ein Leben lang. Ich bin so etwas wie ein Leibarzt für die Musiker.

Ein interessanter Vergleich.
Berufsmusiker empfinden ihr Instrument wie ein Körperteil. Sie spielen jeden Tag sechs Stunden darauf und fühlen sich unwohl, sobald eine Saite nur einen zehntel Millimeter verrutscht. Dann justieren wir hier nach. Wenn zum Beispiel im Winter die Luft trockener wird, klingt die Geige spröder und wir stellen den Stimmstock anders ein.

Es gibt Geigenbauer, die vor allem bauen, während andere vor allem reparieren. Wie ist es bei Ihnen?
Ich mache beides. Die Klangverbesserung ist zwar mein Steckenpferd, ich muss aber zugeben, dass es ein tolles Gefühl ist, wenn ich aus einem Prügel Holz ein Instrument baue, von dem ich weiß, dass es die Menschen noch in 500 Jahren spielen werden – wenn es mich schon nicht mehr gibt. 

Sie bauen für die Ewigkeit.
Wie lange hält ein Auto, ein Computer, ein Handy? Eine Geige hält ein halbes Jahrtausend und ist dann noch verwendbar!

Sie haben mich eben durch Ihre Werkstatt geführt. Auf einem Ihrer Celli habe ich beim Rundgang das Preisschild „125.000 Euro“ entdeckt. Woher kommt der Preis?
Das Cello stammt aus Italien, 17. Jahrhundert. Der Preis hat mit dem Alter zu tun, mit dem Baumeister, mit dem Zustand. Ich kaufe immer wieder Instrumente bei Auktionen oder bekomme sie aus Nachlässen von Menschen, die sie nicht mehr wollen. Dann richte ich sie her und verkaufe sie.

Wenn ich an einem Instrument arbeite, denke ich immer an die Person, die es bekommt. Es wird zu unserem gemeinsamen Kind, das uns ein Leben lang verbindet.

Wie viele Instrumente bauen Sie pro Jahr selbst?
Nur vier, weil ich viel restauriere. Wenn Sie heute anfragen, kann es eineinhalb Jahre dauern, ehe Sie ein neues Instrument von mir bekommen. 

Was spricht für ein neues Instrument?
Du kannst es so bauen lassen, wie du willst. Ein Cellist aus Berlin hatte geerbt und wollte sich ein grünes Cello bauen lassen, mit dem er in einer Laienband Metallica-Lieder nachspielen kann. Eine Reihe von Geigenbauern in Berlin sagten ihm ab, weil sie schlicht kein grünes Cello bauen wollten. Aber mir macht so was Spaß. Der Kunde suchte sich hier speziell Muschelahorn aus, ein seltenes und schönes Holz, das Verwachsungen hat, die wie Muscheln aussehen. Ebenso suchte er sich gemeinsam mit mir das passende Modell aus, die Farbe der Pigmente, beschrieb mir seine Klangvorstellung und begleitete so den gesamten Entwicklungsprozess seines Instruments. Und weil ich jeden Arbeitsschritt mit der Digitalkamera dokumentiere, bekam er am Ende auch eine CD mit Bildern, auf denen sich die Herstellung des grünen Cellos Schritt für Schritt nachvollziehen ließ. 

So entsteht vermutlich ein enger Austausch mit Ihrem Kunden.
Wenn ich an einem Instrument arbeite, denke ich immer an die Person, die es bekommt. Es wird zu unserem gemeinsamen Kind, das uns ein Leben lang verbindet. Der Berliner Cellist kommt noch immer einmal im Jahr mit seinem grünen Cello zur Generalüberholung.

Unter welchen Umständen kauft jemand eine Geige aus dem 17. Jahrhundert
Da kommen nur Profis infrage, oder Leute, die investieren möchten. Eine meiner neuen Geigen verkaufte ich einmal an einen Kunstsammler, der sie dann nicht spielte. Für mich war das Instrument dadurch ein bisschen beerdigt – weil es ja gebaut wurde, um gespielt zu werden. 

Wie wurden Sie Geigenbauer?
Ich besuchte die Geigenbauschule in Mittenwald. Es gab 1000 Bewerber und acht wurden genommen. Ich schloss als Bester ab und bekam danach eine Stelle beim damals weltbesten Neubauer von Geigen, Helmut Müller in Leonberg. 

In diesem Handwerk müssen Sie etwas vom Meister vorgemacht bekommen, Sie müssen nebendran sein, zusehen und es dann selber machen.

Wodurch zeichnet sich der weltbeste Geigenbauer aus?
Helmut Müller gewann Gold bei der Triennale in Cremona, das ist ein sehr renommierter internationaler Geigenbauwettbewerb, sozusagen die Olympiade unter den Geigenbauern, die nur alle drei Jahre stattfindet. Ich habe unglaublich viel von ihm gelernt, ein toller Mensch, der leider schon gestorben ist. Was ich von ihm weiß, will ich weitergeben. 

Wie geht Weitergeben?
In diesem Handwerk müssen Sie etwas vom Meister vorgemacht bekommen, Sie müssen nebendran sein, zusehen und es dann selber machen. Der Meister muss neben Ihnen stehen und sagen: Dieses hast du gut gemacht, jenes aber musst du noch üben und verbessern. Nur so kommt man weiter: Vormachen, nachmachen, korrigiert werden, dann üben, üben, üben. 

Also muss der Meister vor allem Zeit für einen haben.
Wenn er nur das Ergebnis sieht, weiß er nicht, woran es hakte.

Bilden Sie aus?
Ich bekomme immer wieder Anfragen nach einer Lehrstelle und würde auch gerne ausbilden, aber ich habe durch die vielen Aufträge leider keine Zeit dazu. 

Was hat Ihnen Helmut Müller beigebracht?
Er war ein Schwabe und arbeitete unglaublich exakt. Als er mich anstellte, sagte er „Es ist mir egal, wie lange etwas dauert, das Ergebnis muss perfekt sein. Der Kunde sieht nur das Ergebnis, er sieht nicht, wie lange wir daran gearbeitet haben.“ Er setzte sich dennoch das Ziel, in seiner Perfektion immer schneller zu werden. So ein Typ bin ich auch. 

Was für ein Typ sind Sie?
Ich arbeite schnell. Ich fälle schnell Entscheidungen, ich schiebe Sachen nicht auf. 

Was bedeutet das im Alltag?
Wenn ich im Supermarkt einkaufe, geht es zack zack, ich schaue nicht lang rum. 

Erstaunlich, ich hätte nicht erwartet, dass Geschwindigkeit im Geigenbau eine Rolle spielt.
Wenn man einen hauchdünnen Span, nur einen zehntel Millimeter dick, in einen Riss einleimt, braucht man megaviel Geduld. Die habe ich dann auch. Wenn ich mit Kunden arbeite, mit Musikern, dann lasse ich mich auf sie ein. Aber routinierte, alltägliche Sachen müssen schnell gehen. Ich vermiete nebenbei Instrumente, derzeit sind es 360. Die Buchführung dazu mache ich tageweise und sofort: Morgens um sieben komme ich in die Werkstatt und arbeite dann alles der Reihe nach routiniert ab. Ich schiebe nichts auf, da würde der Stapel nur wachsen. 

Es gibt Ratgeber, die genau das empfehlen: Wer Routinen in sein Leben legt, gewinnt mehr Freiräume für die wichtigen Arbeiten.
Ja, deshalb arbeite ich so. Ich habe drei Semester Elektrotechnik studiert. Das Wissen aus dieser Zeit hilft mir noch heute beim Aufbau der Routinen. 

Inwiefern?
Ich habe mir umfangreiche Exceltabellen konstruiert, in denen alle Instrumenten-Mieten erfasst sind, auch die Inventur. Und natürlich mache ich auch die Buchführung für die Löhne der Mitarbeiter oder die Krankenkassenmeldungen elektronisch. Mein Steuerberater ist ganz begeistert. 

Geigenbauer Michael Jaumann in seiner Werkstatt in München.
Geigenbauer Michael Jaumann, fotografiert von Gerald von Foris

Wie kamen Sie zur Elektrotechnik?
Ich hatte Mathe- und Physik-Leistungskurs am Gymnasium. Als die ersten Homecomputer rauskamen, haben wir an den Dingern rumgelötet und in „Basic“ programmiert. Nach dem Abitur studierte ich Elektrotechnik an der TU München, bis ich nach drei Semestern sehr krank wurde. 

Was war?
Krebs. Ich musste ein Jahr Chemotherapie machen, bekam in der Zeit einen Herzstillstand, musste reanimiert werden, es war das volle Programm. Im Krankenhaus sah ich einen Film über Geigenbau. Da machte es bei mir klick. Dieser Film brachte mich auf den Beruf. Die Frage war zu dem Zeitpunkt nur noch, wie ich meinen Eltern beibringe, dass sie drei Semester umsonst die Miete in München gezahlt hatten … 

Wie reagierten sie?
Mein Vater lag zeitgleich mit mir mit Krebs im Krankenhaus. Er starb kurz darauf, im Alter von 47 Jahren. Er sagte mir am Bett ,Mach in deinem Leben, was dir Spaß macht.’

Ein wichtiger Satz.
Weil er wusste, dass er nur noch ein halbes Jahr zu leben hat. Aber das macht den Rat nicht falsch. Einige meiner Klassenkameraden aus der Schulzeit sind in ihren Berufen gefrustet oder von Mobbing gequält. Da mache ich lieber, was mich erfüllt. Ich habe einen Traumberuf und bekomme zufällig noch Geld dafür.

Was genau hat der Geigenbaufilm in Ihnen berührt?
Der Film hat mich sozusagen an meinen musikalischen Wurzeln gepackt. Ich fing mit sechs Jahren an, Geige zu spielen, weil ich in eine musikalische Familie geboren wurde. Meine Mutter machte mit ihren Schwestern in Füssen Dreigesang, Volksmusik. Ich lernte außerdem noch Hackbrett, Gitarre und Flöte. 

Und Ihr Vater?
Er heiratete meine Mutter und verstand sich erst auf kein Instrument. Dann fing er an, sämtliche Flöten zu spielen. Er spielte Cello, er sang – wir haben zusammen gesungen. So entstand eine richtige Volksmusikgruppe. Gemeinsam mit Gustl Bayrhammer haben wir die Heilige Nacht von Ludwig Thoma im Münchner Herkulessaal umrahmt. 

Die Verbindung zur Musik war also früh gelegt.
Und ich habe schon früh und wahnsinnig gern gebastelt. Von Matchbox bekam ich Auszeichnungen für meine Flugzeug- oder Schiffsmodelle, weil ich so penibel war: Ich baute die Schlacht von Waterloo nach und malte den nur zwei Zentimeter hohen Figuren Schnurrbärte an, mit Pinseln, an denen nur noch ein Haar war. Der Geigenbau war dann die perfekte Verbindung von Musik und filigranem Handwerk. Für diese Erkenntnis brauchte ich den Film. 

Es gibt Geigenbauer, die komplett alleine arbeiten. Was die gelernt haben, stirbt mit ihnen, das wird nicht weitergegeben. Das ist eigentlich schade. Eine Gesellschaft existiert, weil wir weitergeben, was wir lernen.

Kam der Krebs wieder?
Dreimal. 

Sie machen mir Angst.
Ich hatte Lymphdrüsenkrebs, Morbus Hodgkin im schlimmsten Stadium. Aber ich überlebte und ein Arzt meinte: Wieder einer, der die Statistik hebt. Später hatte ich einige Jahre einen Tumor im Knie. Vor drei Jahren wurde ein Hoden entnommen, weil sich ein Tumor gebildet hatte. Irgendwie kratze ich immer die Kurve. Es gibt auf dieser Welt noch Aufgaben. Ob ich nun Holzkisten zum Klingen bringen muss oder etwas anderes: Es ist kein Glück, dass ich lebe, ich habe offenbar eine Aufgabe. 

Was an Ihrer Arbeit macht Sie so zufrieden?
Es gibt mir eine innere Befriedigung, wenn ein Musiker mit einem Instrument zu mir kommt, das einen Riss bekommen hat, etwa durch einen Unfall. Ich kann es heilen und danach ist er glücklich. Es ist toll, das Wissen weitergeben zu können, das ich von meinen Lehrern gelernt habe. Zu meinen ehemaligen Mitarbeitern habe ich unglaublich tolle Kontakte. Die rufen an und fragen mich um Rat. Ich sehe in ihnen keine Konkurrenz. Wenn wir gemeinsam an einem Strang ziehen, kommen wir schneller voran. 

Das sieht nicht jeder so.
Ein funktionierendes Netzwerk ist wichtig. Ein Kollege rief an und fragte „Ich habe einen Kunden, der sucht ein Cello für 250.000 Euro, hast du was da?“ Wenn der mich nicht anruft, habe ich das Cello, aber keinen Kunden.

Zwei Dinge fallen auf: Sie scheinen gerne wirksam zu sein und Sie haben Freude an sozialen Kontakten.
Es gibt Geigenbauer, die komplett alleine arbeiten. Was die gelernt haben, stirbt mit ihnen, das wird nicht weitergegeben. Das ist eigentlich schade. Eine Gesellschaft existiert, weil wir weitergeben, was wir lernen. Das ist die Grundlage von Kultur. Die Qualität einer Gesellschaft bemisst sich nicht nur daran, dass wir in Frieden zusammenleben. Wir wollen geistig weiterkommen. Was würden wir ohne Bach und Mozart machen? Was, wenn die ihr Wissen nicht in Noten hätten weitergeben können? Wir können heute so viel mehr archivieren, und das nutze ich auch. Wenn jemand mit einem kaputten Instrument kommt, fotografiere ich alle einzelnen Arbeitsschritte meiner Reparatur. 

Das ist anstrengend.
Das habe ich auch schon gemacht, als es nur Negativfilme gab. Wenn der Kunde ein Instrument abholt, an dem ich ein dreiviertel Jahr gearbeitet habe, sieht er nur die fertige Geige. Er sieht nicht die vielen Stunden, die vielen Schritte, die den Preis bedingen. Wenn ein Kunde heute sein Instrument holt, setze ich ihn erst mal vor den Monitor, zeige ihm die vielen Hundert Bilder und erkläre, was ich gemacht habe. So erkennt er, wie exakt wir arbeiten. Psychologisch ist es viel besser, den Kunden auf diese Weise in den Arbeitsprozess einzubinden.

Sie dokumentieren den Prozess und adeln dadurch die einzelnen handwerklichen Schritte. Haben Sie Sorge vor Kopien?
Ich habe keine Angst, dass jemand meine Arbeit kopiert. Geben Sie mehreren Köchen dasselbe Rezept, es kommt nie dasselbe raus. Beim Handwerk ist so viel Gefühl dabei – allein schon, wenn ich die Decke einer Geige ausarbeite. Sicher, mit dem Computer kann ich aufs Tausendstel genau eine Stradivari nachfräsen. Aber die klingt dann nicht so. 

Warum?
Holz ist ein natürliches Material, Hölzer sind unterschiedlich alt, verschieden gewachsen, sie haben unterschiedliche Biege-Eigenschaften. Darauf muss ich eingehen, das muss ich fühlen. Maschinen checken das nicht. 

Beim Meister in England dachte ich: Nie im Leben sollen meine Mitarbeiter so über mich denken, wie ich über ihn dachte.

Haben Sie durch Ihre Krankheit intensiver über Ihre Arbeit nachgedacht?
Ich lebe durch die Krankheit intensiver. Jeden Tag. Ich treffe mich mit mehr Menschen und unterhalte mich, statt zu Hause vor dem Fernseher zu sitzen. Ich pflege ein extrem soziales Leben. 

Was bedeutet das?
Ich gehe bewusst gerne in die Konzerte der Musiker, deren Instrumente ich betreue oder die meine Instrumente kauften. Die sagen mir dann oft, ich sei einer der wenigen Geigenbauer, die ihre Konzerte besuchen würden. Ich sehe darin meine Arbeit. Ich will mein Produkt doch hören! Es ist toll, ein großes Konzert mit einer Geige, einer Bratsche oder einem Cello zu hören, das ich hergerichtet oder gebaut habe. Ich nehme ein kleines Stück vom Applaus mit, schließlich habe ich zum Klang beigetragen. Die Pflege der Beziehungen zu meinen Kunden ist mir wichtig. Nicht nur nehmen. Ich will auch geben und zeigen: Es interessiert mich, was du machst! 

Ist das eine Lehre von Helmut Müller?
Er war Methodist und stellte durch den Glauben menschliche Werte nach vorne. Eines Tages zum Beispiel arbeiteten ein Mitarbeiter und ich in Müllers Werkstatt. Er war oben im ersten Stock in der Lackierwerkstatt, wir waren unten, als dem Kollegen eine sehr wertvolle Geige runterfiel. Der Hals brach aus dem Korpus. Ein Super-GAU. Der Chef kam runter und blieb total ruhig. Er sagte nur „Ich weiß, du hast das nicht mit Absicht gemacht. Jetzt schauen wir, wie wir das reparieren können.“ In London hingegen arbeitete ich bei einem Chef, der an der Stelle ausgerastet wäre. Ich nahm mir beide zum Vorbild, im Positiven wie im Negativen.

Inwiefern?
Beim Meister in England dachte ich: Nie im Leben sollen meine Mitarbeiter so über mich denken, wie ich über ihn dachte. Fachlich habe ich zwar wahnsinnig viel gelernt, menschlich aber war er unter aller Kanone.

Inwiefern gehen Sie mit Ihren Mitarbeitern anders um?
Wir frühstücken morgens zusammen, nachmittags trinken wir miteinander Kaffee. Ich lade meine Mitarbeiter in Konzerte ein, wir gehen gemeinsam Essen. Für das Weihnachtsessen waren wir in der BMW-Welt, im „Esszimmer“, zwei Sterne. 

Sie sind großzügig.
Das war Helmut Müller nicht. Bei ihm kam ein Junge ins Geschäft und fragte nach einem Schutzgummi für den Stachel unten am Cello. Müller gab ihm einen und verlangte 50 Pfennig, die er ins Kassenbuch eintrug. Ich greife heute in eine Tüte, nehme zehn Schutzgummis zur Hand und sage zu einem Jungen mit einem solchen Anliegen „Schenke ich dir“. Der geht nach Hause und sagt „wow“ und die Eltern sind begeistert. Man muss im Leben großzügiger sein. Ich lade wahnsinnig gerne Leute zum Essen oder in Konzerte ein. Ich habe mehrere Abos, bei denen ich je vier Karten gebucht habe. Ich lade immer wieder andere Menschen ein, um sie an die klassische Musik heranzuführen. Die sagen nachher häufig „Boah, ohne dich wären wir da nie hin!“ 

Das sind viele Stunden beim Fotografieren, beim Bearbeiten der Bilder, beim Erklären für den Kunden, für die ich nichts verlange. Dieses Bonbon an Großzügigkeit kommt zigfach zurück.

Welche Musikreihen besuchen Sie?
Im Herkulessaal gibt es gerade eine Reihe „Musik im Originalklang“, mit Barockinstrumenten, auf die Darmsaiten gespannt wurden. Da werden die Stücke so gespielt, wie sie nur zu jener Zeit zu hören waren, in der sie entstanden. Ich fahre auch zu Festivals nach Regensburg, Wien oder Innsbruck, wo alte Musik gemacht wird. 

Das Großzügigkeitsmotiv erkenne ich wieder, wenn ich an die bildliche Dokumentation all Ihrer Arbeitsschritte denke.
Das sind viele Stunden beim Fotografieren, beim Bearbeiten der Bilder, beim Erklären für den Kunden, für die ich nichts verlange. Dieses Bonbon an Großzügigkeit kommt zigfach zurück. Wenn ein Kunde zufrieden ist, wirbt er von sich aus. Die Musiker kennen sich alle, spielen in Orchestern und Laienorchestern. Einem fällt die Geige runter und schon steht die Frage im Raum: Wo gehst du hin? Der ehemalige Solocellist der Staatsoper hatte ein sehr wertvolles Cello, das aus großer Höhe zu Boden fiel. Er war skeptisch mir gegenüber, weil ich damals noch so jung war. Er hatte das Cello 1960 für 6000 DM gekauft, heute dürfte es 300.000 Euro wert sein. Er sagte mir nach der Reparatur, das Cello habe in den 50 Jahren davor noch nie so gut geklungen.  

Was hatten Sie verändert?
Der Hals war rausgebrochen, ein Riss in der Decke. Ich musste sie öffnen und sah, dass einige Dinge falsch repariert waren. Ich sprach an, dass man das besser reparieren könnte. An der Stelle ist Feingefühl gefragt. Der Cellist blieb skeptisch: Wie klingt es nachher? Passt es dann noch? Ich zeigte ihm Bilder einer Stradivari, die ich repariert hatte. So gewann ich sein Vertrauen. Einem anderen Musiker erklärte ich eineinhalb Stunden, was man an seinem Instrument verbessern könnte. Er sagte, dass er es sich überlege und noch zu einem anderen Geigenbauer gehe. Später rief er an und sagte „Wussten Sie, dass Sie der teuerste in München sind?“ Ich entgegnete „Rufen Sie an, um mir das zu sagen?“ Er sagte „Nein, weil Ihnen Sachen aufgefallen sind, die andere nicht gesehen haben.“ In dem Moment war das Vertrauen da.

Was haben Sie mit dem Geigenbau gelernt?
Es gibt einem mehr Selbstbewusstsein im Leben, wenn man mit eigener Arbeit erfolgreich ist. Deshalb war die Selbstständigkeit mein Ziel. So bekommt nicht immer nur der Chef die Lorbeeren. 

Was geben Sie Menschen mit auf den Weg, die sich gerade selbstständig machen?
Es hängt davon ab, welcher Typ man ist. Eine ehemalige Mitarbeiterin führt ein sehr einfaches Leben und ist glücklich mit dem, was sie hat. Mir aber ist es nie genug. Ich will mitnehmen, was geht. Vielleicht liegt es an meiner Vorerkrankung. Ich gehe deshalb auch ins Zwei-Sterne-Restaurant. Viele lernen bei mir nicht nur Geigenbau, sondern auch, gute Weine zu trinken. Ich will mitgeben, wie schön das Leben sein kann. 

Andere bringen Kinder zur Welt, ich baue Geigen.

Ich verstehe.
Ich bin dankbar, die Krankheit gehabt zu haben. Ich rege mich nicht mehr über Kleinigkeiten auf. Viele kleine Dinge weiß ich hingegen mehr zu schätzen. Es ist mir wichtig, das weiterzugeben. Ich rede auch gerne über den Krebs. Kunden öffnen sich, wenn ich mich öffne. So haben sich Freundschaften gebildet. 

Haben Sie Ziele oder leben Sie jeden Tag und schöpfen, was geht?
Ziele sind wichtig. Als Selbstständiger will ich angesehener werden. Ich muss aber auch lernen, mit dem was ich habe, zufrieden zu sein. Ich muss mich jederzeit an dem freuen, was ist.

Woran erkenne ich eine Jaumann-Geige?
Ich schnitze die Hohlkehle sehr tief. Deshalb wird man in 300 Jahren sagen: Das ist ein Jaumann. 

Wann entwickeln sich solche Eigenheiten?
Ich sehe im Lauf meines Arbeitslebens andere Instrumente und überlege: Was ist so toll an diesen Instrumenten, dass sie mir so gefallen? Diese Inspiration sickert in meine Arbeit. Es ist aufwendiger, die Hohlkehle so tief zu stechen. Viele hören vorher auf. Ich will es so.

Folgen Sie einer Lebensphilosophie?
Ich freue mich, wenn die Leute gern was mit mir machen. Deshalb fände ich es schön, wenn ein paar Leute später mal auf meine Beerdigung gehen und sagen: „Schade, dass der nicht mehr da ist“. Wenn keiner kommt, habe ich was falsch gemacht. Ich will nicht einfach weg sein, die Menschen sollen mich in positiver Erinnerung behalten. 

Immerhin: Was Sie schaffen, wird lange bleiben.
Das ist ein tolles Gefühl. Ich kann zwar durch meine Krankheit keine Kinder bekommen, aber ich kann Geigen bauen. Andere bringen Kinder zur Welt, ich baue Geigen.

Fotos: Gerald von Foris