Es geht darum, in Fahrt zu kommen: Was ich von Nick Cave gelernt habe

Auf dieser Webseite frage ich die Besten eines Faches nach ihrem Wissen und ihrer Weisheit. Aber auch viele Kollegen spüren hilfreiche Lehren über gelingende Arbeit auf. Zum Beispiel Christoph Dallach.

Der Sänger Nick Cave sagt: Es geht darum, in Fahrt zu kommen 

Für die Zeit sprach Christoph Dallach vor einem Jahr mit dem Sänger Nick Cave, der zwei Jahre vorher seinen Sohn verloren hatte. Das Interview ist wie eine Ausnahmeerscheinung. Dallach begleitet in Gedanken Nick Caves Weg zurück ins Arbeitsleben. Sie sprechen darüber, wie weitermachen funktioniert – und wie um sechs Uhr sein Arbeitstag beginnt. 

F: In dem Dokumentarfilm One More Time With Feeling, der kurz nach dem Tod Ihres Sohnes entstand, sagen Sie, dass Sie zwar wie immer aussehen, aber innerlich ein anderer Mensch geworden sind. Wie hat man sich diese Veränderung vorzustellen? A: (langes Schweigen) Einiges bleibt beim Alten. Irgendwann arbeitet man eben wieder. Das Leben muss ja weitergehen. (ein langer Blick aus dem Fenster in den Himmel) Und doch ist alles anders. Die Leute sagen zu mir, dass sie sich nicht vorstellen können, wie sich das für mich anfühlen muss. Aber da irren sie sich. Ich glaube, dass sich jeder auf seine Weise ausmalen kann, wie schlimm sich so eine Tragödie anfühlt. Viele Menschen haben ähnliche Verluste erlitten, und wenn einem das klar wird, fühlt man sich nicht mehr ganz so allein und hoffnungslos in seinem Schmerz. Das Schwierigste ist dann aber, tatsächlich weiterzumachen. Irgendwie wieder einen Rhythmus im Leben zu finden. Wenn man sich überwunden hat, sich einfach nur hinzusetzen und irgendetwas zu arbeiten, ist das immerhin ein Anfang.

F: Sie haben bisher 16 Alben mit den Bad Seeds veröffentlicht, Sie schreiben Romane, Gedichte, Theaterstücke, Drehbücher, Soundtracks für Filme. Haben Sie streng geregelte Arbeitszeiten? A: Es gibt bei mir immer einen Starttag, von dem an ich mich nur noch um ein bestimmtes Projekt kümmere. Ich stehe so gegen sechs Uhr morgens auf, mache mir eine große Kanne Kaffee und gehe in mein Arbeitszimmer. Dort warte ich darauf, dass mir etwas einfällt. Wenn dann erst mal nichts passiert, beginne ich zu lesen, und was mir dabei so durch den Kopf geht, notiere ich. Es ist nicht wichtig, wie gut das ist, was ich da schreibe, es geht nur darum, in Fahrt zu kommen. Im Grunde schreibe ich von morgens bis abends, wenn ich an einem Projekt arbeite.

F: Und wie schreiben Sie? A: Ich schreibe alles mit der Hand in Notizbücher, ganz altmodisch. Am Ende eines Tages stemple ich da das Datum rein, und dann geht’s am nächsten Tag weiter. (greift zu einem in dunklen Karton eingebundenen Notizbuch, das auf dem Tisch liegt, und blättert es durch) Tag für Tag notiere ich da Dinge, die mich beschäftigen. Hier, mein letzter Satz: „Happy people and they were Nazis“ – keine Ahnung, wie ich darauf gekommen bin.