Der Sternekoch Vincent Klink über das Wirt-Sein: Mein Selbstwertgefühl entsteht durch die Gefolgschaft, die ich versammle

Sein Stuttgarter Restaurant »Wielandshöhe« gehört zu den Besten des Landes, seine Bücher sind Bestseller: Ein Gespräch mit dem Universalisten Vincent Klink – über die Verführung der Gäste zum Leichtsinn, den Wert seiner vielfältigen Interessen und die Erkenntnis, dass wahre Kochkunst in der Reduktion aufs Wesentliche entsteht. Fotos: Gerald von Foris

Herr Klink, woran arbeiten Sie gerade?
Ich schreibe ein Buch über die Schwaben, über den Widerspruchsgeist und Erfindungsreichtum der Menschen, der aus dem harten Boden kommt: Hätten wir hier fruchtbare Erde gehabt, dann hätte es nie Not gegeben und niemand im Schwarzwald hätte beispielsweise eine Kuckucksuhr bauen und verkaufen müssen.

Sie kochen und schreiben nicht nur, Sie pflegen nach meinem Wissen eine ganze Reihe von Hobbys.
Ich kann sehr viele Dinge ein bisschen. Bogenschießen, Luftpistole schießen, Gärtnern, ich bin Motorradrennen gefahren. Vor einiger Zeit habe ich mir eine Schreinerwerkstatt zugelegt, in der ich gerade den Bausatz für ein Holzsegelflugzeug zusammenklebe und -stecke, außerdem restauriere ich alte Bücher. 

Was mögen Sie am Modellbau?
Ach, in dem Fall steckt Nostalgie dahinter: Als ich sechs Jahre alt war, baute meine Mutter mit mir einen kleinen Modellbau-Uhu. Das fiel mir in den vergangenen Tagen wieder ein, so etwas wollte ich noch einmal machen – weil mir gar so fad war. 

Sind Sie praktisch veranlagt?
Ich bin ziemlich praktisch veranlagt. Hier im Betrieb verreckt alle zwei Stunden was und ich reparier’s. 

Ist das so?
Die meisten Köche merken nicht, wenn ihr Mixer hohl dreht und gleich zu Rauchen anfängt. Die sind da wie mein schwerhöriger Opa, der mit seinem VW im ersten Gang 60 km/h gefahren ist. 

Aber Sie haben Freude am Reparieren und Basteln, oder?
Sicher. Ich habe mir jetzt eine Lasersäge für 1000 Euro gekauft und werde auf Bitten meiner Tochter einen neuen Käsewagen fürs Restaurant bauen … 

Ihre Tochter Eva ist Käsesommelière und leitet den Service der »Wielandshöhe« …
… und macht ihre Sache ganz wunderbar. Deswegen verliere ich mich gerne im Bau dieses Wagens.  

Tun Sie sich schwer mit Stillstand?
Ich besitze zwar einen Liegestuhl, habe ihn aber noch nie benutzt. Im Urlaub finden Sie mich nie am Strand. Erst im Februar bin ich mit meiner Tochter eine Woche durch Griechenland gefahren – wir haben fast 2000 Kilometer runtergerissen, waren in Delphi, Korinth und Mykene. Jetzt weiß ich endlich, was es mit den dorischen, ionischen und korinthischen Säulen auf sich hat – es war ein richtiger Lernausflug.  

Warum sind Sie so rastlos?
Das ist Erziehungssache. Selbst sonntagmorgens um 7 Uhr schrie mein Vater »Aufstehen!« und trieb meine Geschwister und mich in den Garten, um Beete umzugraben. 

Ihr Vater war Tierarzt. Gab es für Sie zu Hause so viel zu tun?
Wir lebten in einem großen Jugendstilhaus und mussten dauernd kehren oder Hecken schneiden oder eben im Garten arbeiten. Mein Vater war ein großer Gärtner, bückte sich aber nie – dafür waren wir zuständig. 

Über die Dominanz Ihres Vater schreiben Sie auch in Ihren Büchern. Hat er Sie in die Ausbildung zum Koch befohlen?
Mein Vater war als Tierarzt auch Chef des Schlachthofs und Chef des sogenannten Wirtschaftskontrolldienstes in Schwäbisch Gmünd. In der Funktion hatte er 60 Metzgereien unter sich – und bekam von jedem Metzger, den er kontrollierte, ein Stück Wurst. Er fuhr auch zu den Hausmetzgereien aufs Land, zur Fleischbeschau. Für die Untersuchung reichen eigentlich drei Gramm, er kam aber immer mit einem Kilogramm nach Hause. Dazu bekam er Bauernbrot und warme Kuhmilch. 

Das klingt reichhaltig.
In dem Umfeld wuchs ich auf. Ich bin zwar dick, aber nicht krank dick – eher gesund angefressen.

»Im Hotel Sacher wusste niemand, wer ich bin. Ich wollte dort ja auch niemanden kennenlernen, ich wollte wissen, wie die Kollegen arbeiten.«

Aber heißt das auch, dass Sie schon immer gerne kochten?
Ich habe gerne gegessen, wollte aber eigentlich Bildhauer werden. Mit der Freude am Kochen war es deshalb anfangs nicht so weit her. Ich folgte der Anweisung meines Vaters, der ein begeisterter Gourmet war und schon in den Sechzigern bei Paul Bocuse und in Paris gegessen hatte. 

Widersprechen ging nicht?
Meinem Vater widersprach man nicht: Er war Wehrmachtsmeister im Schwergewichtsboxen und bei den Bauern beliebt, weil er liegende Kühe einfach hochlupfte. 

Verstehe.
Er wurde zur regionalen Legende, als er mit der einen Hand ein Kalb aus einer Kuh zog und mit der anderen eine Wasserleitung von der Wand riss, an der er sich festgehalten hatte. Und in seinem Mercedes riss er einst den Ganghebel ab …

Wie, bitte?
… ich muss aber dazu sagen, dass er fast ständig unter Alkoholeinwirkung stand. Schnäpse waren bei den Bauern obligat. 

Vincent Klink in Wien
Der Koch Vincent Klink, fotografiert von Gerald von Foris

Sie selbst waren jung, als Sie Ihr erstes Restaurant gründeten.
24 Jahre, ich war blind wie ein neugeborenes Kaninchen und wusste nicht mal, dass man einen Kontoauszug auch aufheben kann. 

Mit welcher Idee eröffneten Sie das Restaurant?
Mein Vater legte die Latte hoch und sagte »Du musst auf das Niveau von Bocuse.« Jeden zweiten Tag besuchte er mich und ging mir auf die Nerven. Meine Frau war zum Glück so ehrgeizig wie ich und wir fuhren gemeinsam herum und lernten von den Besten.  

Das heißt, Sie gingen bei Kollegen Essen und machten sich Notizen?
Ich habe Kisten voll mit Notizbüchern aus dieser Zeit, in denen ich zum Beispiel festhielt, wie hauchdünne Croustilles zustande kommen oder welchen Fettanteil ein perfekter Lammrücken braucht. 

Geben Sie sich in Restaurants eigentlich als Koch zu erkennen?
Nie. Lediglich in Deutschland kommt es vor, dass mich Kollegen erkennen, weil sie meine Fernsehsendungen verfolgen.  

Wie war das bei den Recherchen zu Ihrem Buch »Ein Bauch lustwandelt durch Wien?«
Im Hotel Sacher wusste niemand, wer ich bin. Ich wollte dort ja auch niemanden kennenlernen, ich wollte wissen, wie die Kollegen arbeiten. Das erfahre ich nur, wenn ich in Deckung bleibe. 

»Gastronomie ist ein einfacher aber wichtiger Sozialkitt: Jede Gesellschaft braucht eine Heimat außerhalb der Wohnungen und Häuser, damit die Menschen vom Fernsehgerät und dem Computer wegkommen und zu sich finden.«

Welche Erkenntnisse haben Sie aus der Wiener Recherche in Ihre Arbeit auf der Wielandshöhe einfließen lassen?
Bezogen auf das Kochen nicht so viel. Aus Wien habe ich eher eine Wut auf Stuttgart mitgenommen. Was hier bei den hochpräzisen Protestanten nicht funktioniert, machen die Wiener nebenher: Der Zug fährt pünktlich, die Mieten sind billig, die Renten sind hoch – und das Essen in Gaststätten unterliegt dem ermäßigten Steuersatz. Gastronomie ist ein einfacher aber wichtiger Sozialkitt: Jede Gesellschaft braucht eine Heimat außerhalb der Wohnungen und Häuser, damit die Menschen vom Fernsehgerät und dem Computer wegkommen und zu sich finden. In Wien funktioniert das. Dort kostet das Krautfleckerl mittags fünf Euro und jeder Rentner kann es sich leisten. Deswegen sind in Wien die Kneipen auch viel voller als bei uns. 

Um was geht es Ihnen heute beim Kochen – um eine gute Bewertung im Guide Michelin oder um die Gäste?
Es geht um Gäste, die nach dem Essen sagen »Herr Klink, das war heute wieder spitze«. Mein Selbstwertgefühl entsteht durch die Gefolgschaft, die ich hier versammle, nicht durch die Preise, die ich gewinne. Was nützt Ihnen als Journalist ein Preis, wenn Sie keine Leserbriefe bekommen, in denen steht »Bitte weiter so«? Solche Reaktionen erhalten mir ein ganzes Berufsleben lang die Freude an der Arbeit. Durch den Austausch mit den Gästen entwickle ich mich weiter, weil ich Lob und Kritik wahrnehme und verarbeite.

Versammeln Sie eine Gefolgschaft, der schmeckt, was Vincent Klink schmeckt?
Ich koche nur, was mir schmeckt – für Gäste, die so ticken wie ich. Die mögen auch mal ein Hühnermagenragout. Oder ein hohl ausgebeintes Spanferkel. Das ist eher rustikal, besticht aber durch einen eindeutigen Geschmack. 

Was bedeutet »eindeutiger Geschmack«?
Das schmeckt nach dem Schwein, und nicht nach Tonkabohne oder sonst was. Wir kochen hier so gut wie ohne Gewürze, weil Gewürze nur eine Form der Camouflage sind. 

Wie meinen Sie das?
Bis das Reh früher beim Koch war, fing es schon leicht an zu müffeln. Deshalb kamen in der Küche Essig und Wacholder dran und deshalb wissen viele Menschen in Deutschland nicht mehr, wie Reh schmeckt. Reh schmeckt in Deutschland nach Wacholder. 

»Der Gast muss die Großzügigkeit des Wirtes bemerken. Wenn er sieht, dass der Wirt spart, fällt ihm ein: Mensch, ich könnte ja auch sparen«.

Wer sind die Gäste der »Wielandshöhe«?
Wir leben nicht von den reichen Leuten, das vorab. Die müssen ja ihre Ferienhäuser unterhalten und haben ganz andere Sorgen. Wir finden unsere Gäste im soliden Stuttgarter Mittelstand. Ein Daimler-Mitarbeiter verdient vielleicht zwischen 6000 oder 7000 Euro im Monat, lebt im selbst gebauten Häusle und geht zweimal im Jahr bei mir Essen. Von diesen Menschen leben wir, mit diesen Menschen wachsen wir. Derzeit haben wir Platz für 70 Gäste, hinter den Kulissen arbeiten 28 Frauen und Männer.

Abgesehen vom Essen: Wie halten Sie Ihre Gäste?
Meine Frau dekoriert den Gastraum mit großen und üppigen Blumensträußen. Ein Alpenveilchen würde es auch tun, aber meine Frau sagt »Der Gast muss die Großzügigkeit des Wirtes bemerken. Wenn er sieht, dass der Wirt spart, fällt ihm ein: Mensch, ich könnte ja auch sparen«. Wir wollen eine frohe Atmosphäre erzeugen, die die Leute leichtsinnig macht. 

Leichtsinnig?
Ähnlich wie im Urlaub, in dem man sich auch Unvernünftigkeiten leistet. Genau diesen Urlaubsleichtsinn oder auch Frohsinn wollen wir im Restaurant anregen. Außerdem soll der Gast sehen, dass es Chefin und Chef ernst meinen, dass ihnen Ihre Arbeit eine Herzenssache ist. In Stuttgart bin ich dafür am richtigen Platz. Stadt und Region sind von Kleinunternehmern geprägt, die erkennen: »Der Wirt ist einer wie wir, der meint es ernst, den besuchen wir wieder«.

Wann entwickelt sich nach der Ausbildung zum Koch ein eigener Zugang zum Handwerk, eine Art Handschrift?
Das geht relativ schnell. Wenn Sie bei mir während Ihrer Ausbildung jeden Tag acht bis zehn Stunden kochen, sind Sie mit 23 Jahren relativ weit. Danach bleibt es Ihrer eigenen Intelligenz überlassen, ob Sie denken, Sie müssten nichts mehr dazulernen, oder ob sie einen Minderwertigkeitskomplex pflegen und immerzu denken »Ich kann es noch längst nicht«.

»Es ist ein Erkenntnisprozess, dass Kunst aus dem Wesentlichen besteht: Sie lassen in der Arbeit nach und nach weg, was nicht dazugehört.«

Geben Sie mir ein Beispiel: Wie entsteht der eigene Kochstil?
In Kochbüchern wird für Rouladen meist ein bestimmtes, knochentrockenes Stück Fleisch empfohlen. Ich habe irgendwann Fleisch aus der Hochrippe des Rindes genommen, das ich auch rosa braten kann. So bleibt es saftiger. Ein einfacher, aber wirksamer Schritt. Gutes Kochen setzt Denken voraus und bedeutet nichts anderes als das Zusammenspiel von Physik und Chemie. 

Zu dieser Gewissheit komme ich aber erst mit viel Erfahrung, oder?
Das Blöde ist, dass viele Köche mit Ihrer Arbeit immer gleich dort ansetzen, wo herausragende Köche angekommen sind. Ohne handwerkliches Fundament geht es aber nur begrenzte Zeit.

Aber es kann ja nicht falsch sein, sich die Besten zum Vorbild zu nehmen.
Ich habe auch die französischen Vorbilder kopiert – und bin von dort langsam abgestiegen. 

Wie meinen Sie das?
Wenn Sie zu Malen beginnen, lassen Sie sich vielleicht zu Beginn von Monet inspirieren – Sie wollen malen wie er. Dann aber lassen Sie immer mehr und mehr weg, bis Sie feststellen »Jetzt erst bin ich, wo ich hinwollte; jetzt male ich nur noch eine blaue Fläche«. So wie Yves Klein zum Beispiel. Und ich kann Ihnen versichern, dass der nicht mit seinen blauen Flächen begonnen hat. 

Was ist das für ein Prozess, den Sie beschreiben?
Ein Reinigungsprozess, ein Kopf-frei-Prozess. Und auch ein Erkenntnisprozess, dass Kunst aus dem Wesentlichen besteht. Sie lassen in der Arbeit nach und nach weg, was nicht dazugehört. In der Fotografie ist es nicht anders. Ich sehe meine Gäste immer auf dem Balkon stehen und das üppige Stuttgarter Panorama fotografieren – keiner sucht sich den wunderschönen Zapfen heraus, der an den Zweigen der Tanne hängt. 

Ich verstehe, was Sie meinen. Einfachheit sticht Komplexität.
Das gilt auch in der Kochkunst. Ich mag diese Augenkocherei nicht, dieses Dekorieren der Teller, das aufwendige Arrangieren von Speisen, die dann beim ersten Schnitt in sich zusammenfallen. Mir ist es lieber, wenn ich hier das Lamm, dort die Bohnen und daneben das Gratin sehe. Mein Lieblingsgericht ist Gulasch, das in der Diktatur des Auges einen schlechten Stand hat – weil es aussieht wie ein Scheisshaufen. 

Wie bringen Sie den Auszubildenden Ihr Handwerk bei?
Ich mache vor, sie machen nach, ganz einfach. Dies Vorgehen hat sich seit der Steinzeit nicht verändert. 

Wie werde ich in Ihrem Fach zum Profi?
So richtig Profi werden Sie erst, wenn Sie selbstständig sind und jeden Tag einen Anruf vom Bankbeamten bekommen. 

Ging es Ihnen so?
Allerdings, ich hatte mit Mitte 20 keine Ahnung von Tuten und Blasen. Aber der Stress hielt mich bei der Stange. Die Ernsthaftigkeit der Arbeit vermittelte sich mir durch das Berufsrisiko. Wenn Sie nur in Watte gepackt kochen, erfahren Sie die letzte Tiefe des Handwerks nicht. Existenzangst spornt an. 

Heißt das, dass Sie den Leuten, die Sie ausbilden, eine ähnliche Existenzangst machen müssen?
Das mache ich nicht. Hier wird ohne Angst gekocht und gelehrt. 

Welchen Prämissen folgen Sie im Führen der Mitarbeiter?
Ich würde nichts verlangen, was ich nicht auch selber machen würde. Wenn ich eine Schweinskeule ausbeine, bin ich immer noch schneller. Ich muss alles vormachen können, sonst habe ich keine Autorität. Mit flotten Sprüchen kann ich nur eine begrenzte Zeit führen. 

Vincent Klink in Wien
»Ich bleibe in meiner Arbeit lieber in der zweiten Reihe und mache meine Sache gut: Immer höher, immer weiter, das ist nicht meine Welt«, sagt Vincent Klink.

Warum können Sie das Ausbeinen der Keule besser?
Wenn ich mich zweier Fähigkeiten rühmen darf, dann sind es mein handwerkliches Geschick und mein Interesse an Zusammenhängen. Vorgestern war ich in Baden-Baden zur Aufzeichnung meiner wöchentlichen Fernsehsendung. Im Studio laufe ich an einem Handwerker vorbei, der gerade lötet und sage »Hey, wenn ich löte, dann hebt der Löt-Beppel oft am Draht nicht. Weshalb?« Der Mann sagte »Dann hast du das falsche Lot: Du brauchst Lot, das Blei enthält.«

Was machen Sie mit solchem Wissen?
Ich habe seit Jahren nicht gelötet, früher aber ist mir genau das immer wieder passiert: Der Lötzinn blieb nicht haften. Wenn ich dieses und andere Geheimnisse ergründe, erweitere ich den Wissenssumpf in meinem Kopf. Zwischen den Informationen in diesem Sumpf entstehen später neue Verbindungen, die zu nützlichen Ergebnissen führen können. 

»Ich mag es nicht, wenn zu zweit gearbeitet wird. Auch wenn Sie privat kochen, müssen Sie ausknobeln, wer woran arbeitet: Jeder soll machen, auf was er am meisten Lust hat und das auch durchziehen.«

Sie sprechen das Geheimnis von gelingender Weiterentwicklung an: Gute Ideen entstehen aus der Kombination von vorher Unverbundenem. Neugier ist dafür eine wichtige Voraussetzung.
Wenn ich sehe, dass ein Gast seine Rechnung auf eine Firma für Kugellager ausstellen lässt, besuche ich ihn am Tisch, suche das Gespräch und erfahre zum Beispiel, dass der Mann auch Kugellager für kleine Roboter baut, die durch Blutbahnen fahren sollen. Ein andermal war ein Kolbenbauer zu Gast, der Kolben für Formel 1-Autos baute. Den habe ich später in seiner Werkstatt besucht, die vor Metallspänen nur so überquoll. Solche Typen und Vögel und Umgebungen interessieren und inspirieren mich. Ein Gast baut in Göppingen hochwertige Flöten. Nun spiele ich selbst Querflöte und wusste, dass er Freude an Motorrädern hat. Ich besuchte ihn mit meiner »Ducati Mike Hailwood« und schlug im Spaß vor, das Motorrad gegen seine billigste  Flöte zu tauschen. Er hatte sich sofort in die Ducati verliebt und sucht zum Tausch nach einer Silberflöte im Wert von etwa 10.000 Euro, die er in dem Moment aber nicht fand. Stattdessen gab er mir eine Goldflöte im Wert von 30.000 Euro.

Das klingt nach einem hervorragenden Tausch.
Sowas gibt’s nur einmal, solche Begegnungen liebe ich.

Wie organisieren Sie den Alltag in Ihrer Küche?
Ich muss zusehen, dass alle Mitarbeiter ein Minimalniveau erreichen, dann bekommt jeder einen Verantwortungsbereich, den er ausbauen kann. Der eine verantwortet die Spinatknödel, die andere die Suppe, der andere das Dessert undsofort. Ich mag es nicht, wenn zu zweit gearbeitet wird. Auch wenn Sie privat kochen, müssen Sie ausknobeln, wer woran arbeitet: Jeder soll machen, auf was er am meisten Lust hat und das auch durchziehen. 

Was ist noch wichtig?
Ich muss die sogenannten Posten in der Küche regelmäßig tauschen. Nach zwei Monaten auf dem Salatposten lasse ich den Kollegen wechseln, etwa auf den Dessertposten – im Kampf gegen Routine und damit alle alles lernen.

Der Küchenchef im Münchner Restaurant Humpelmayr vermittelte Ihnen während der Lehre einen ganz bestimmten Satz zum Zustandekommen von Stress …
»Stress ist ein Zeichen von Nichtkönnen«. 

Ist das so?
Natürlich. Wobei das nicht immer nur das eigene Können betrifft. Wenn 100 Leute gemeldet sind und du der Einzige in der Küche bist, hast du auch Stress. Da kannst du gut sein wie du willst. 

»Ich sehe zu, dass ich nie zur Spitze gehöre.«

Der Umgang war in den Küchen früher nahezu menschenverachtend. Der Küchenchef im Humpelmayr nannte Sie immer nur »Du Scheisshaus«.
Ja, der Ton dort war brutal und irgendwann wurde ich es leid. In der Zeit überlegte ich, ob ich nicht tagsüber Kunst studieren könnte und abends auf Parties kochen, etwa beim »Käfer«. Also sprach ich in der Prinzregentenstraße im Büro des Personalchefs vor, dessen Tür von einem Papagei bewacht wurde. Ich klopfte, ging rein und traf auf einen gwamperten Herren in Lederhose. Ich sagte, dass ich derzeit bei Humpelmayr arbeite und eine Stelle als Koch suche. »Das sind nicht die schlechtesten – weshalb willst du dort weg?« fragte er. »Weil ich eigentlich Kunst studieren möchte, und da habe ich gedacht …« Da fing er an zu schreien »Was willst du? Kunst? Du Arschloch. Schau, dass du raus kommst!« Und ich ging raus und an dem Papagei vorbei, der mir immer wieder »Arschloch, Arschloch« hinterher rief. 

Was für ein denkwürdiger Moment.
Ich ging die Treppe hinunter und dachte nur: Dann bleibe ich halt doch ein Koch.

Und der Papagei war der Rausschmeißer …
Der Papagei ist an allem schuld.

Sie kochen inzwischen länger als ein halbes Jahrhundert. Wie halten Sie über die Jahrzehnte hinweg die Spannung aufrecht?
Ich sehe zu, dass ich nie zur Spitze gehöre. 

Wie meinen Sie das?
Ich war mal engagierter Bergsteiger und tourte häufig mit einem Freund, der mir alles über die Berge vermittelte, was ich weiß. Bei mehreren Aufstiegen kehrten wir ganz kurz vor dem Gipfel um, manchmal wären es nur zehn Minuten gewesen. Mein Freund aber sagte »Da kommt eine Wolkenwand, wir hauen ab.« Deswegen lebt er heute noch. Er überlebte alle Gefahren, weil er immer rechtzeitig umkehrte. Das muss man können: Nicht alles riskieren, nur ein bisschen. So halte ich es auch. Ich bleibe in meiner Arbeit lieber in der zweiten Reihe und mache meine Sache gut – immer höher, immer weiter, das ist nicht meine Welt. Durch diese Haltung bleibe ich ein freier Mann und führe ein Leben ohne den Zwang, immer perfekt, immer herausragend sein zu müssen; nur so lassen sich nach meiner Meinung 50 Jahre Kochen unbeschadet überstehen.

Fotos: Gerald von Foris

Restaurant Wielandshöhe

Buch »Ein Bauch lustwandelt durch Wien«