Der Konditormeister Josef Schwalber über das Halten von Standards: Es darf sich keine Passt-schon-Haltung einstellen

In Olching bei München produziert die Konditorei Neßbach & Schwalber Pralinen, Schokoladen und Torten für zwei eigene Cafés und die gehobene Gastronomie. Seit sich Andreas Neßbach aus dem Betrieb zurückzog, leitet Josef Schwalber die Produktion und das Geschäft alleine. Ein Gespräch über die Herausforderung, täglich hohe Qualität zu liefern – und über den steinigen Weg zur Zufriedenheit. Fotos: Gerald von Foris

Herr Schwalber, Sie stellen hier auf 400 Quadratmetern Pralinen oder Kuchen her. Während wir sprechen, gießen Ihre Mitarbeiter Osterhasen. Wie ist der Betrieb so groß geworden?
Andreas Neßbach begann in einem Wohnhaus mit einer Pralinenmanufaktur, nur wenige Kilometer von hier. Ich fing erst als Aushilfe an und wurde später Mitinhaber. Als die Aufträge immer zahlreicher wurden, dachte Herr Neßbach zum ersten Mal an ein Ladengeschäft. Ich machte in der Zwischenzeit die Meisterprüfung und uns wurde klar, dass wir gemeinsam wachsen wollen. Wir eröffneten erst einen Laden in Olching und später in Fürstenfeldbruck, wo wir zu den Pralinen auch Kuchen und Torten anboten. Die Menschen nahmen das sehr gut an und wir konnten nicht anders als die Produktion zu vergrößern. Seit 14 Jahren sind wir nun hier, in dieser ehemaligen Diskothek. Der Schritt von den 70 Quadratmetern im Wohnhaus auf die 400 Quadratmeter im Gewerbegebiet war ein großer. Inzwischen kommen wir aber wieder an unsere Grenzen und nehmen nächstes Jahr weitere 80 Quadratmeter hinzu.

Wen beliefern Sie?
Zu 60 Prozent unsere eigenen Läden, zu 40 Prozent liefern wir nach München in die gehobene Gastronomie und in ein Delikatessenhaus. 

In welchem Umfang hat sich seit dem Umzug das Geschäft verändert?
Es hat sich locker verdoppelt.

Wie halten Sie in diesem Wachstum die Qualität?
Nehmen wir an, Sie kaufen zehn verschiedene Pralinen von uns, weil Sie die Vielfalt wollen, weil Sie ausprobieren möchten, dann muss jede einzelne Praline perfekt sein – auch, zum Beispiel, diese eine Eierlikörtrüffelpraline. Wenn diese eine Eierlikörtrüffelpraline an einem Tag nicht passt, dann haben Sie ein Problem und vor allem habe ich ein Problem. Ich muss also hinter jedem einzelnen Produkt stehen und die Qualität kontrollieren.

Das bedeutet?
Wenn ein Betrieb größer wird, ist das Kontrollieren schwierig. Wir haben deshalb bewusst versucht, langsam zu wachsen – weil wir die Kontrolle behalten wollten. Es dauerte ein paar Jahre, bis wir die 400 Quadratmeter voll genutzt haben.

Was ist neben der Kontrolle das Schwierigste im Wachstum?
Das richtige Personal zu finden. 

Wie viele Menschen arbeiten für Sie?
Wir sind derzeit in der Produktion zu zehnt. Vergangenes Jahr wurden allerdings zwei meiner Meisterinnen Mama, eine dritte ging als Lehrerin an die Berufsschule …

Das klingt nach Umbruch.
Das zu kompensieren ist nicht leicht. Unser Personal braucht ja eine ganz bestimmte Schulung. Ich kann zum Beispiel keinen Bäcker reinholen, weil wir sehr fein, sehr genau arbeiten: Wenn von einer Sorte Törtchen zehn Stück rausgehen, dann müssen die alle gleich sein, oder, nein: Die müssen so gut wie identisch sein. Das muss ich mit einem wachsamen Auge kontrollieren. Wenn die Kuvertüre nicht richtig temperiert ist, wenn ein Bindemittel fehlt, wenn das Petit Four nicht gut da steht, gebe ich die Ware lieber nicht raus und sage: Sorry, geht heute nicht. 

Wie viele Auszubildende beschäftigen Sie?
Fünf. 

Bei zehn Mitarbeitern ein hoher Anteil.
Die Ausbildung ist mein Steckenpferd. Wer soll künftig meine Arbeit übernehmen, wenn ich die jungen Leute nicht ranführe? 

Woher kommt diese Haltung? Viele Handwerksbetriebe bilden nicht aus oder vernachlässigen die Nachfolgeregelung.
Es ist eine anstrengende Arbeit, aber es macht Freude zu sehen, wie sich die meist jungen Menschen entwickeln. Wir haben einen jungen Mann in der Produktion, der diesen Juli in die Gesellenprüfung geht. Zu Beginn seiner Ausbildung redete er keine zwei Sätze am Stück mit uns. Er war so brav, so still. Wie sich der in diesen zwei Jahren entwickelt hat! Ich hoffe, dass er bei uns bleibt. 

Ist es Ihnen wichtig, Ihr Wissen weiterzugeben?
Natürlich, es soll ja nicht sterben. Warum soll ich 30 Jahre Berufserfahrung für mich behalten? Ich will keine Geheimnisse hüten und gebe allen Mitarbeitern meine Rezepte weiter. Zu den Auszubildenden sage ich: Diese Rezepte sind euer Schatz, passt auf sie auf, sie sind die Basis eures Arbeitslebens. Damit könnt ihr in New York so gut arbeiten wie in St. Moritz.

Wir haben bewusst versucht, langsam zu wachsen – weil wir die Kontrolle behalten wollten.

Gibt es ein Produkt, mit dem der Laie versteht, wie die Entwicklung eines Konditors voranschreitet?
Vielen fällt es zu Beginn schwer, Kuvertüren bei der richtigen Temperatur zu verarbeiten – sie bestimmen den Glanz der Pralinen.

Was geht Ihnen selbst nur schwer von der Hand?
Ich bin kein guter Modellierer. Ich habe nie die Fähigkeit besessen, das, was in meinem Kopf steckt auf das Marzipan zu übertragen. Es geht, ja, aber ich bin da nicht begnadet. Meine Stärken liegen im Umgang mit Schokolade und Teig.

Was bedeutet Modellieren genau?
Figuren nach Kundenwunsch herzustellen. Angefangen von der klassischen Marzipanrose bis zum Hochzeitspaar á la „Shrek & Fiona“ bis zu zeitgemäßen Figuren aus Comics oder aktuellen Fernsehserien. Während der eine das gut kann, ist ein anderer am Teigposten besser aufgehoben. 

Wie sind Sie in den Beruf gekommen?
Ich stamme aus einer Bäckerei, in der ich von klein auf mit Mehl und Teig in Berührung kam. Ich habe Bäcker gelernt und merkte, dass mir das zu wenig ist. Ich finde Teig zwar wahnsinnig spannend, wollte aber mit 20 Jahren noch nicht in den Betrieb meiner Eltern zurück. Deshalb schloss ich eine Konditorlehre an. Meine Eltern verpachteten den Betrieb. 

Warum wollten Sie nicht bleiben?
Weil du in einer Bäckerei ja sofort eingekastelt bist, das Umfeld und die Produktpalette sind überschaubar. Ich habe als Konditor in St. Moritz und in St. Gallen gearbeitet und erkannt: Das ist mein Beruf. Konditorei bietet die Abwechslung und die ständige Erneuerung, die ich suche. 

Konditormeister Josef Schwalber in seiner Produktion in Olching bei München.
Konditormeister Josef Schwalber, fotografiert von Gerald von Foris

Wie sieht Innovation in Ihrem Genre aus?
Es gibt Kunden, die Wünsche an uns rantragen. Manche kommen aus dem Urlaub zurück und zeigen uns Bilder auf ihrem Smartphone. Oft steht auch einfach die nächste Veranstaltung an, der Ostermarkt zum Beispiel. Dann überlegen wir, was wir machen können. Ein neues Petit Four? Mit Alkohol? Eines für Kinder? In diesen Diskussionen kommt etwas in Gang. Das geht manchmal in die Hose und ist nicht essbar – weil ein Petit Four vielleicht viel zu süß ist. Innovation kann aber auch mit kleinen Schritten verbunden sein. Wir haben dieses Jahr zum ersten Mal einen Krapfen mit Himbeer- und Cassismarmeladenfüllung aufgenommen. Herrlich!

Welches Produkt war für Ihre persönliche Entwicklung relevant?
Es gibt da eine Torte, die wir ewig lang getestet haben: die Bella Italia. Sie besteht aus dünnen Böden, ähnlich einer Prinzregententorte, wird mit italienischer Vanillecreme gefüllt, mit Früchten belegt, mit Baiser eingestrichen und abgeflämmt. 

Das klingt gut.
Es hat aber wirklich eine Weile gedauert, bis wir das so hinbekommen haben, dass es für uns akzeptabel war. Und dann haben es die Leute nicht gekauft! Wir sind echt fast verzweifelt. Erst nach knapp zwei Jahren hatten die Kunden überrissen, was in dem Ding steckt. Heute ist die Bella Italia ein Renner. 

Welche Bedürfnisse erfüllt diese Torte?
Sie kommt ohne klassische Creme aus. Sie sieht ansprechend aus, ist locker und leicht und fruchtig, Vanille ist ohnehin ein Mainstreamgeschmack. Wir sind aber auch stolz auf die kleinen Törtchen, die wir in unseren Läden etabliert haben. Das war auch nicht leicht. Früher ging es ja immer um den großen Kuchen, um das dicke Stück – und dann fangen wir mit so kleinen Patisserie-Sachen an! Damit haben wir uns inzwischen einen Namen gemacht, das freut mich. Mit Macarons hingegen habe ich aufgegeben, dafür haben wir nicht die richtige Klientel. Was wir immer vorhalten müssen, ist das Traditionelle: Käse-Sahne, Schwarzwälder, Prinzregenten. Wenn ich die heute aus dem Sortiment schieben würde, würden 20 Prozent Umsatz fehlen. 

Ist es für Ihren persönlichen Anspruch wohltuend, dass Sie ein namhaftes Delikatessengeschäft beliefern?
Für uns war es ein kleiner Ritterschlag, als man auf uns zukam. Bei der Gelegenheit erfuhr ich, dass ein „Food-Scout“ über ein Jahr hinweg bei uns kaufte, um sich der Qualität wirklich sicher zu sein. Die Scouts dieses Geschäftes kreisen um einen Betrieb und beobachten seine Entwicklung. Das imponiert mir. 

Es ist einfacher, einen Level zu erreichen, als auf einem Level zu bleiben.

Eine Auszeichnung, wenn man so will.
Das bedeutet aber auch einen wahnsinnigen Qualitätslevel: Auf diesem Niveau muss ausnahmslos exakt und sauber gearbeitet werden.

Ist der Kampf um Perfektion anstrengend?
Ich finde schon, weil man ja jeden Tag neu anfängt. Und es ist wirklich nicht jeder jeden Tag gleich gut drauf. Es ist einfacher, einen Level zu erreichen, als auf einem Level zu bleiben. 

Wie schaffen Sie’s?
Es geht nur durch Kontrolle. Es darf sich nie eine „Passt schon“-Haltung einstellen. 

Können Sie konkreter werden?
Gehen wir von einer Dekortorte aus: Wenn der Kunde sie in der Farbe rosa wünscht, dürfen wir sie nicht pink machen. Torten müssen immer gleich hoch eingesetzt werden, Törtchen auch. Wir definieren klare Vorgaben, jedes Stück muss eine bestimmte Menge Obst obenauf haben, damit das Auge verführt wird. Sorgfalt und Liebe zum Detail sind essenziell.

Nun kennen Sie selbst Ihren Anspruch sehr gut. Wie geben Sie Ihre Maßstäbe weiter?
Ich versuche vorzuleben, dass „passt schon“ nicht gut genug ist. Auch wenn es mich Überwindung kostet, muss ich immer wieder aussprechen, wenn ein Produkt nicht rausgehen kann. Aber dabei lasse ich es nicht. Ich bitte die Auszubildenden, die Perspektive zu wechseln: Wärt ihr bereit, das zu kaufen? Nein? Was würdet ihr dann anders machen? Es klingt so leicht, aber es ist eine Kunst, die Sicht zu verändern und sich bei der eigenen Arbeit zu fragen: Würde ich das kaufen?  

Trotzdem, es kann einem Mitarbeiter schon schwerfallen, den Antrieb seines Chefs zu teilen.
Ich weiß, was Sie meinen. Ich lebe diese Arbeit, ich liebe sie. Wenn ich meine extreme Haltung auf andere projiziere, entsteht ein Problem. Das habe ich in den vergangenen Jahren gelernt und verstanden. Ich versuche heute verständnisvoller zu sein. Aber gerade jetzt, wo so viele Erfahrene gegangen sind, ist es nicht leicht. 

Der Wechsel setzt Ihnen hörbar zu.
Der hat wirklich allen hier zugesetzt. Wenn du innerhalb von drei Monaten auf dem Weg ins Weihnachtsgeschäft drei Top-Leute verlierst, kann das keiner auffangen. Wir haben dann die Vielfalt verringert, sodass alles, was noch rausging, top war. Meine Mitarbeiter haben ganz schön malocht und sind an der Sache gewachsen. Jetzt ist es Freitag, 15.45 Uhr. Die haben eigentlich seit 45 Minuten Feierabend und sind noch draußen und gießen Osterhasen. 

Weshalb?
Weil sie es alleine machen können! Ohne den Chef. Ich weiß, dass Sie es können, also lasse ich sie jetzt los. Wenn ich sie immer bei mir habe, funktioniert das nicht. 

Sie sagen das, als wäre Ihnen dieses Loslassen leicht gefallen. Ist es wirklich so?
Es war ein Prozess für mich sie loszulassen, einen Schritt zurückzutreten. Vor zehn Jahren hätte ich das nicht geschafft. Aber jetzt funktioniert es immer wieder, immer besser. 

Mir kommt es vor, als müssten Sie viel loslassen. Ihr Gründungspartner ist in den Ruhestand gegangen, regelmäßig verlassen Gesellen Ihren Betrieb, die drei Meisterinnen sind weg …
Es ist nicht schön, aber wahrscheinlich gehört es zu meinem Job.

Wollten Sie immer selbstständig werden?
Ich komme aus einer Bäckerfamilie und wollte immer meine Freiheit. Mir war es wichtig, dass ich frühstücken kann, wann ich frühstücken will; dass ich Kaffee trinken kann, wann ich will. In der Schweiz war ich in einem Betrieb, der seine Mitarbeiter wie Sklaven behandelte. Auch die Älteren. Damals wurde mir bewusst, dass ich mich selbstständig machen muss, wenn ich das nicht erleben will. 

Haben Sie das Wachsen auf den 400 Quadratmetern als Möglichkeit empfunden, mehr Geld zu verdienen oder als Chance, besser arbeiten zu können?
Es geht ums bessere Arbeiten. (Überlegt) Wir bekommen immer wieder Anfragen, ob wir nicht weitere Ladengeschäfte übernehmen wollten. Wir sagen immer wieder ab. Wie sollten wir den Standard halten? Außerdem hatte ich einen super Lehrherrn, der mich während der Ausbildung fragte, wie viele Autos ein Mensch parallel fahren könne, wie viele Löffel man sich auf einmal in den Mund schieben könne?

Er regte sie an, zufrieden zu sein?
So ist es. 

Die Treppe müssen meine Auszubildenden selber steigen, aber ich bin bei jedem Schritt das Geländer, an dem sie sich halten können.

Sie arbeiten an den Wochenenden, beliefern Ihre Cafés oder auch Hochzeitsgesellschaften. Wie bemessen Sie, ob eine Woche oder ein Wochenende gut war?
Für mich ist ein Wochenende gut, wenn ich gut kalkuliert habe, wenn in den Geschäften wenig überbleibt. Es gibt aber auch Wochenenden mit acht Hochzeitstorten, an denen ich einfach froh bin, wenn alles gut raus geht, wenn wir nichts vergessen haben. Dann, ja: Dann bin ich schon zufrieden.

Das klingt, als ginge es in Ihrer Arbeit vor allem ums Bewältigen.
Ja, ich bin zufrieden, wenn wir die Arbeit gut bewältigen. Aber auch dann, wenn wir als Team gut waren! 

Das heißt?
Ich lege zum Beispiel großen Wert darauf, dass die ganze Mannschaft mitkommt, wenn jemand seine Gesellen- oder Meisterprüfung macht. Wenn dann die Auszubildende die Treppe herunterkommt, wenn ihre Anspannung abfällt und sie weint, weil sie denkt, die Prüfung sei schlecht gelaufen, dann sind wir da. Das finde ich wichtig. Das gehört sich so. Ich lege auch größten Wert darauf, dass wir jeden Morgen gemeinsam frühstücken. Zwischen acht und halb neun steht die Produktion still, da tauschen wir uns aus, da wachsen wir zusammen. 

Verstehe.
Meine Philosophie ist: Die Treppe müssen meine Auszubildenden selber steigen, aber ich bin bei jedem Schritt das Geländer, an dem sie sich halten können. Wenn wir nach einem Prüfungstag im Auto sitzen und nach Hause fahren und der Azubi sagt: Herr Schwalber, Danke, dass sie mich so konsequent durch die Ausbildung geführt und mich immer motiviert haben – dann bin ich froh. Und zufrieden. 

Entwickeln Sie sich noch weiter?
Jeden Tag. Ich war eben erst auf einem Vegan- und Glutenfrei-Seminar. Aus der ganzen Welt werden uns Dekortrends angetragen, die wir in unsere Arbeit einfließen lassen. Ernährungstrends ebenso. Wir versuchen jetzt auch halal zu arbeiten, weil immer mehr Moslems unsere Produkte essen wollen. 

Wo sind Sie am liebsten?
In der Produktion, Pralinen machen. 

Was haben Sie über das gute und gelingende Arbeiten gelernt?
Qualität ist das oberste, das wichtigste Gebot.

Messen Sie sich an Kollegen?
Nein, auf keinen Fall. Ich weiß, was wir können. Ich erinnere mich an einen Kollegen, der abends durch München ging und Schaufenster von Kollegen fotografierte und dann abkupferte. 

Okay.
Fand ich total idiotisch. Ich denk mir nur: Mach halt selber dein Ding.

Fotos: Gerald von Foris