Der Körperspracheexperte Stefan Verra sagt: Wir müssen wohlwollender gegenüber uns selbst sein
Im vergangenen Jahr redete er live vor insgesamt 100.000 Menschen über die Wirkung unserer Körperbewegungen und Verhaltensweisen auf andere: Ein Gespräch mit Stefan Verra über die Nase-Nabel-Regel, den Wert von tief reichendem Wissen und Wohlwollen gegenüber sich selbst. Fotos: Gerald von Foris
Herr Verra, Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren mit Körpersprache. Warum?
Dahinter steckte kein Plan. Mein Papa ist Bildhauer. Wenn der aus einem Baumstamm zum Beispiel einen sitzenden Akt formte, dann war das bei uns in der Familie ein Thema. Wie gestaltet er den Menschen? Wenn die Figur eine Hand stützend oder nachdenklich ans Gesicht legt – positioniert sie diese dann vor dem Gesicht oder doch nicht mehr ganz vor dem Gesicht, seitlich, an der Backe? Das ist ein Unterschied. Retrospektiv sind diese Debatten bei mir auf fruchtbaren Boden gefallen.
Verstehe.
Ich habe später intuitiv begonnen, mich auch mit dem Steuerorgan des Körpers zu beschäftigen, mit dem Gehirn. Ich ergründe, warum wir uns wie verhalten, warum wir uns wie bewegen; ich ergründe, wie und warum körpersprachliche Signale auf uns wirken.
Was haben Sie ursprünglich gelernt oder studiert?
Ich habe Musik studiert, Schlagzeug und Musikpädagogik. Beim Besuch von Konzerten interessierte mich von Beginn an nicht nur die Musik. Ich beobachtete zum Beispiel den Sänger einer Band und dachte: Wenn der da vorne nicht mit dem Publikum kommuniziert, dann enttäuscht er es. Die fragen sich dann doch, warum sie ins Konzert kommen?
Was meinen Sie damit? Das Publikum kommt doch wegen der Musik.
Nicht nur. Mir wurde bewusst, dass ich ins Konzert gehe, um den Musiker spielen sehen zu können. Es reicht mir nicht, die Musik nur zu hören. Ich will diese Körperlichkeit erfahren. Wenn der Musiker nicht lernt, dem Publikum körpersprachlich was zu liefern, hat er sein Musikersein nicht verstanden.
Okay.
Der klassische Jazzmusiker, der im Strickpulli wahnsinnig gut aber in sich versunken spielt, der wendet sich an eine kleine Schicht. Die meisten gehen in Veranstaltungen, um etwas zu erleben. Wenn der Mensch auf der Bühne nicht attraktiv für mich ist, wenn er nicht mal mit kleinsten Bewegungen mit mir kommuniziert, dann entwertet er seinen Vortrag.
Das Interesse an der Körpersprache des Menschen ist eine Sache. Wie kamen Sie dazu, Vorträge zu dem Thema zu halten?
Ich begann immer häufiger, in meinem Umfeld über Körpersprache und ihre Bedeutung zu reden. Irgendwann hörte mir der Leiter eines Seminarinstituts zu und sagte: Erzähl doch mal meinen Seminarteilnehmern was! Ich verstand zwar nicht, was all die Außendienstler, Abteilungsleiter und Bereichsleiter, die seine Kurse buchten, in ihrer täglichen Arbeit machen – aber ich kam gut bei ihnen an. Mein Publikum wurde größer und 2018 habe ich meine Vorträge vor insgesamt 100.000 Menschen gehalten. Diese Entwicklung konnte aber nur zustande kommen, weil ich spürte, wann ich Nein sagen muss.
Die jahrzehntelange Konzentration auf die Thematik bildet eine lange und stabile Vertikale in meinem Leben.
Was meinen Sie damit?
Meine Seminare kamen durchwegs gut an, weil ich gerne unterhalte, weil ich Humor in meinen Vortrag bringe. Die Menschen gingen aber auch motiviert raus. Also wurde ich gefragt, ob ich nicht auch zu Motivation und Rhetorik sprechen könnte. Ich spürte sofort: Nein, das will ich nicht. Ich beschäftige mich seit zwei Jahrzehnten täglich mit Körpersprache – beziehungsweise beschäftigt es sich, von alleine. Nun hätte ich natürlich auch über Motivation sprechen können. Aber ich wäre mit meinem oberflächlichen Wissen schnell an meine Grenzen gekommen. Mein Körpersprachewissen reicht tiefer. Es erschöpft sich nicht im Lesen von körpersprachlichen Signalen oder im Verbreiten von simplen Regeln – von wegen, man dürfe beim Sprechen nicht „ähm“ sagen. Barack Obama ist einer der attraktivsten Redner der Welt und sagt ein Ähm nach dem anderen. Der baut die Ähms sogar absichtlich in seine Reden und erzeugt dabei die Atmosphäre der Spontanität. Oder die Regel, man solle seine Arme nicht verschränken beim Reden …
Oh, Entschuldigung, genau das mache ich gerade.
Wir verschränken beide die Arme und haben doch ein wunderbares Gespräch. Der Körper sendet eben mehr als nur Einzelsignale. Die menschliche Körpersprache ist komplex. Ich kann nicht eine Geste isolieren und glauben, mit ihr würde ich den Körper verstehen. Mir war immer bewusst, dass das keinen Sinn ergibt. Deshalb habe ich mich weiter mit dem Thema befasst.
Wem erzählen Sie Ihr Wissen?
Ich spreche in Unternehmen, auf Kongressen – eben erst war ich beim weltweit größten Urologenkongress in Barcelona. Inzwischen toure ich auch mit einer eigenen Abendshow.
Wie konnte es zu dieser Entwicklung kommen?
Die jahrzehntelange Konzentration auf die Thematik bildet eine lange und stabile Vertikale in meinem Leben. Das erzeugt Glaubwürdigkeit.
Wie genau meinen Sie das?
Es zahlt sich aus, sich langfristig und gründlich mit nur einem Thema zu beschäftigen. Nehmen wir das Stricken. Kein lautes Thema. Aber wenn das jemand tiefgehender und konsequenter macht, als alle anderen wird er zum Magneten. Wenn der dann noch Lust hat, sich und sein Strickwissen auch nur ein bisschen in der Öffentlichkeit zu zeigen, dann fällt irgendwann auf: Was der da macht ist zwar nur Stricken – aber es ist wahnsinnig gut! Dieser Mensch kann dann, wenn er es denn möchte, eine große Zielgruppe erreichen, weil die Menschen seine Strick-Expertise glaubwürdig und hilfreich finden. Oder nehmen wir das Beispiel Aufräumen. Da gibt es doch diese Japanerin …
Marie Kondo.
Sie ist mit ihren Aufräumtipps weltberühmt geworden! Sie sehen, auch vermeintlich bedeutungslose Alltagsthemen können der Beginn einer Erfolgsgeschichte sein.
Bekannte Coaches wie etwa der Amerikaner Tony Robbins treten an, das Leben von Menschen zu verändern. Vermitteln Sie eine Botschaft?
Ja. Ich fordere von den Menschen, wertschätzend mit sich und ihrem Körper umzugehen. Sie zum Beispiel sind groß gewachsen, ich bin zu sehr klein. Sie haben ein anderes Temperament als ich. Wir beide haben unseren Körper mitbekommen, wie er ist. Nun gibt es diese bekannten Coaches, auch in Deutschland, die von der Bühne herunter sagen, wie ihre Zuschauer zu sein haben, um im Leben anzukommen oder zurechtzukommen. Aber diese Coaches kennen Sie gar nicht! Vergangene Woche war ich in Frankfurt und sprach vor 500 Leuten. Wie will ich denn wissen, wer und wie diese Menschen sind? Gelten die vermeintlichen Körpersprache-Regeln für all diese Menschen gleichermaßen? Der größte Teil der menschlichen Körpersprache ist vorgeburtlich festgelegt. Wenn ich während unseres Gesprächs gerade mit meinen Händen ringe, dann ist mir das mitgegeben. Ich will das nicht verändern, ich will wertschätzend damit umgehen. Natürlich kann man mir sagen: Beweg dich nicht so viel! Aber das ist mein Temperament. Ich werde mich nicht in eine Veränderung zwingen, denn damit würde ich meine mir mitgegebene Persönlichkeit unterdrücken, um besser zu gefallen.
Verstehe.
Ich werde deshalb vermutlich auch nie die Olympiahalle in München füllen – weil ich zu wenige Regeln vorgebe.
Das heißt?
Ich sage den Leuten nicht, was sie tun sollen, um erfolgreich zu werden! Sie werden nicht automatisch erfolgreich, nur weil ich Ihnen zehn Körpersprache-Tricks verrate. Diese Idee stammt aus der aufkommenden Industrialisierung, als man plötzlich annahm, der Mensch ähnele einer Maschine, deren Betriebsregeln man entschlüsseln müsse. Es gab Zeichnungen, die den Mensch als Maschine zeigten. Der Mensch ist aber keine Maschine, die nach Regeln funktioniert wie Software nach Algorithmen.
Was erwarten die Urologen, wenn sie Sie zu ihrem Kongress bitten?
In erster Linie wissenschaftliche Korrektheit.
Okay.
Ich habe vor Kurzem das Eröffnungsreferat der Intensivmedizinischen Tagung in Wien gehalten, ich war bei den Gynäkologen im Klinikum Rechts der Isar in München. Mediziner sind ein sehr kritisches Publikum. Die erwarten von Sekunde eins an Seriosität. Wenn ich den Ursprung einer Bewegung erkläre, gehe ich bin ganz zurück in der Geschichte der Menschheit, ja manchmal sogar bis ins Tierreich. Und dann erwarten die Zuseher natürlich Humor. Somit sind meine Veranstaltungen und Bücher immer unterhaltend. Aber niemals reine Unterhaltung.
Mit welchem Wissen soll ich Ihren Vortrag verlassen? In Ihrem neuen Buch beschreiben Sie dann doch die Nase-Nabel-Regel: Echte Zuwendung zeige ich, wenn ich meinem Gesprächspartner Nase und Nabel, also meinen Rumpf zuwende.
Ich habe keinen missionarischen Auftrag. Wenn die Leute einen netten Abend mit mir haben und ein bisschen über sich nachdenken, wertschätzender mit sich umgehen, dann habe ich gewonnen. Wenn es nur einen Menschen gibt, der mit dem vollen Zuwenden des Rumpfes, also mit der Nase-Nabel-Regel, beim Chefgespräch zeigt, dass er bei ihm ist, dann ist das mehr als ich mir erwartet hätte.
Ein bisschen Regeln sind also dann doch gut, oder?
Es ist eher ein Bewusstmachen, wie der Körper unsere Kommunikation bestimmt.
Eine Alltagsfrage: Warum beschäftigt es mich so sehr, wenn mein Sitznachbar im Kino oder in der Bahn die Armlehne zwischen uns in Beschlag nimmt?
Da geht es um Territorialverhalten. Ein großes Territorium bedeutet evolutionsgeschichtlich mehr Raum zur Ressourcenbeschaffung – je größer mein Territorium, desto mehr Ressourcen habe ich zur Verfügung. Das war ein entscheidender Vorteil im Überlebenskampf. Deswegen geht es auch heute noch in den meisten Gerichtsprozessen um Territorien.
Sie sprechen von Nachbarschaftsstreit?
Stellen Sie mal Ihre Winterstiefel jeden Tag neben die Wohnungstüre Ihres Nachbarn!
Der wird Freude haben …
Man fühlt sich schon gleich unangenehm berührt, wenn man sich in seine Situation versetzt, gell? Mit der Armlehne ist es genau so.
Wir überhöhen uns, wenn wir immer recht haben wollen, wenn wir die Weisheit pachten und immer wissen, wie es besser geht.
Wie reagiere ich, wenn der Nachbar die Stütze blockiert?
Ein Trick, den ich in Ausnahmefällen anwende: Mit meinem Arm immer leicht den Arm des Nachbarn berühren. Über Minuten hinweg wird er seinen Arm leicht verschieben. Ich berühre ihn weiter, es ist ihm sehr wahrscheinlich unangenehm. Irgendwann holt er was aus einer Tasche – und hat die Armlehne aufgegeben.
Okay.
Aber nehmen wir mal einen Flug von München nach Hamburg. Der dauert eine Stunde. Ich zum Beispiel sehe zu, dass ich dann am Gang sitze. Natürlich ist es mir auch unangenehm, wenn sich in der Mitte jemand sehr breitmacht. Aber wer schon mal in der Mitte gesessen ist, der weiß genau: Das ist der beengteste Sitz von allen. Ich habe mit mir ausgemacht, dass ich diese eine Stunde aushalte. Ich lehne mich einfach zum Gang raus. Ich tu mehr für die Menschheit, wenn ich dem Menschen in der Mitte eine Stunde lang die Armlehne überlasse, als dass ich sie mir mühsam erobere.
Das ist eine angenehme Haltung.
Der Weg des Egoistischen ist fatal. Die Ordnung in Feind und Freund birgt nichts Gutes und endet im Tribalismus. Wir überhöhen uns, wenn wir immer recht haben wollen, wenn wir die Weisheit pachten und immer wissen, wie es besser geht. So überfordern wir auch unsere Gegenüber. In meinen Vorträgen lade ich die Menschen ein, über alle zu lachen – über große, kleine, Österreicher, Deutsche, Männer, Frauen. Wenn sie bei mir den ganzen Abend lang lachen können, nur über sich selbst nicht – dann haben sie noch einen Weg vor sich. Das macht Donald Trump so angreifbar: Er kann nicht über sich lachen.
Täuscht es mich oder haben die meisten körpersprachlichen Ratschläge mit Zugewandtheit zu tun?
Das ist eine selektive Wahrnehmung. Ich warne davor zu sagen, gute Körpersprache sei nur Zuwendung. Sie bedeutet auch klar zu sagen: Nein, das will ich nicht. Wenn es in Unternehmen um die Frage geht, wer an Weihnachten arbeitet und einer sagt: „Naja, eigentlich ist es mir nicht ganz so recht“ – dabei mit dem Kopf hin und her pendelt und den Körper windet, dann arbeitet er an Weihnachten garantiert. Wenn du was nicht willst, bist du darauf angewiesen, es mit einer klaren Körpersprache zu sagen.
Mit welcher Lehre sollen die Besucher Ihre Show verlassen?
Meine letzten Worte in der Liveshow sind: „Alles was du brauchst, um in deinem Leben glücklich zu sein, hast du schon in dir.“
Eine sehr menschliche Botschaft.
Ich animiere die Leute, zu sich zu kommen. Ein schönes Beispiel ist aus meiner Sicht das Lesen: Ich lese lieber weniger und lasse die Stellen, die mich in Büchern berühren, länger wirken. Ich gebe meinem Gehirn Raum zum Atmen. Wissen Sie, in meinen bislang vier Büchern stehen Dinge, die so nicht in der wissenschaftlichen Literatur zu finden sind. Die stehen da drin, weil ich nachgedacht habe.
Erklären Sie mir, was genau Sie damit meinen?
Ein Beispiel: Es gibt aus meiner Sicht zwei Kenngrößen in der Körpersprache. Da sind die Frequenz und die Amplitude. Diese Beobachtung hat nach meinem Wissen so noch niemand beschrieben. Warum wirkte ein Helmut Schmidt so weise? Weil er die Körpersprache des Alters zeigte. Warum kommt Sebastian Kurz in Österreich an? Weil er sich so langsam bewegt, weil er sich „alt“ bewegt. Ich bin 46 Jahre und wirke eher jung, weil ich mich beim Reden schnell bewege und große Bewegungen mache. Diese Erkenntnis der Bedeutung von Frequenz und Amplitude kam nur durchs Denken, durch Freiraum in meinem Kopf.
Zwei Dinge sind mir beim Lesen Ihres neuen Buches besonders im Gedächtnis geblieben. Sie schreiben vom Vorteil der freien Rede, weil das Publikum dann das Gefühl habe, der Vortrage sei wirklich für sie persönlich gedacht. Redner, die ablesen, wenden sich dagegen sichtbar an anonyme Massen.
So ist es.
Denken Sie beim Vortragen nie, was Sie falsch machen könnten. Denken Sie immer: Was ist möglich?
Sie beschreiben die Merkel-Raute, durch die die Kanzlerin ihre Arme höher hält und aktiver wirkt als wenn sie die Arme baumeln lassen würde. Diese Wirkung war mir vorher in keiner Weise klar.
Wobei es keine gute Idee ist, immer nur die Raute zu verwenden, so wie es Merkel macht. Zwei Dinge sind bei öffentlichen Auftritten wichtig. Erstens: Ihre Hände müssen sichtbar sein. Zweitens: Nichts ist auf der Bühne verboten. Lehnen Sie sich am Rednerpult an, spielen Sie mit den Gegebenheiten. Kennen Sie die TED-Talks?
Ja.
Die spielen sich immer auf einem begrenzten roten Teppich ab. Immer. Dabei wird ein Vortrag nur lebendig, wenn wir die Bühne nutzen und uns bewegen. Denken Sie beim Vortragen nie, was Sie falsch machen könnten. Denken Sie immer: Was ist möglich?
Kann Körpersprache die Gesellschaft verändern?
Stellen Sie sich vor, eine Mutter oder ein Vater kommen von der Arbeit zu ihren Kindern heim und haben einen Grant: „Die Chinesen wollen unsere Firma kaufen!“ Das sehen die Kinder. Die Körpersprache des Vaters sagt ihnen: Das Leben ist schlimm. Sie sagt aber auch: Kinder, ich habe es bald hinter mir, aber ihr habt dieses Leben noch vor euch! Und das ist unverzeihlich. Ich habe selbst zwei Söhne, zehn und zwölf Jahre. Ich sage ihnen jeden Tag, dass sie ein wahnsinnig tolles Leben vor sich haben werden. Die Mobilität wird besser werden, wir werden weniger Staus haben, die Kommunikation ändert sich, die Umwelt wird sauberer.
Wirklich?
Die Kinder werden das hervorragend machen, wir brauchen uns nicht sorgen. Jede Generation hat die Dinge ein bisschen besser gemacht. Wir haben in den Siebzigern DDT verspritzt, Asbest verbaut. Wir hatten das Waldsterben, das Flusssterben – und haben es geregelt. Erinnern Sie sich ans Ozonloch? Haben wir geregelt. Ich habe keine Angst, dass wir untergehen. Glaubt ernsthaft jemand, dass wir das Plastikthema nicht unter Kontrolle kriegen?
Woher kommt Ihr Optimismus?
Der wird verstärkt durch die Medien, mit denen ich mich beschäftige. Eben habe ich Steven Pinkers „Enlightenment Now“ gelesen. Ich lese weniger und dafür intensiver. Ich habe alle Nachrichten-Apps von meinem Smartphone entfernt. Ich bekomme dadurch nicht mit, dass gestern ein Mann in Kopenhagen überfallen wurde, so wie ich es gestern durch Zufall im SWR gesehen habe. Aber diese Information brächte mich in meinem Leben nicht weiter.
Was haben Sie in den vergangenen 20 Jahren über gelingende Arbeit gelernt?
Immer als ich eine neue Sache anfing, dachte ich, ich müsse sie perfekt machen. Von Beginn an. In den vergangenen Jahren wurde ich immer häufiger für englische Vorträge angefragt und übte deshalb mein Englisch. Den ersten Vortrag hielt ich so, wie ich ihn trainiert hatte. Er war nicht mal mittelmäßig. Es war ein steifer, fehlervermeidender Vortrag. Dann aber kam mir ein Bild in den Sinn: Wenn ich einen klugen, charismatischen Inder höre, der in grottenschlechtem Englisch einen Vortrag hält, der mich mitreißt – weißt du, wie egal mir dann sein Englisch ist? Ich finde, wir müssen in vielem was wir tun wohlwollender gegenüber uns selbst sein.
Stefan Verras neues Buch Leithammel sind auch nur Menschen erschien soeben bei Ariston.
Fotos: Gerald von Foris