Der Kabarettist Dirk Stermann über Unterhaltung: Mach nichts, was die anderen schon machen 

Humor als Hoffnungsschimmer: Kurz nach Erscheinen des Strache-Videos schalteten viele Menschen die Late Night-Show Willkommen Österreich mit Christoph Grissemann und Dirk Stermann ein. Sie wollten sehen, wie die Satiriker mit dem politischen Ausnahmeereignis umgehen. Im Gespräch erzählt Dirk Stermann von der Vorbereitung zur Sendung und von Formulierungen, die plötzlich wieder sagbar werden. Außerdem spricht er über den Mut, Schrott zu produzieren und die sinnstiftenden Aspekte des Schreibens. Fotos: Gerald von Foris

Herr Stermann, das Strache-Video wurde an einem Freitag veröffentlicht, am Samstag darauf gab es in Wien eine Demonstration, bei der bereits der Rücktritt der Regierung gefordert wurde. Montagabend lief, wie jede Woche, Ihre und Christoph Grissemanns Late Night-Show „Willkommen Österreich“. Wie planen Sie diese Sendung für gewöhnlich?
Ab Donnerstag machen sich fünf Autoren Gedanken zur Sendung. Sonntagabend treffen wir uns und überlegen, was wir Montag wirklich machen.

Welche Pläne haben Sie am Sonntagabend nach Erscheinen des Strache-Videos für die Sendung entwickelt?
Das große Problem war, dass schon am Sonntag unendliche Massen von Material im Netz zu sehen waren. Wahnsinnig viele Leute hatten auf die unterschiedlichste Art reagiert. Der Spielraum für etwas Neues war klein. Uns wurde schnell bewusst, was wir machen können und was wir nicht machen. 

Was haben Sie beschlossen nicht zu machen?
Es gab die Überlegung, zu Jan Böhmermann zu schalten. 

… der den Inhalt des Strache-Videos wohl schon seit einiger Zeit kannte und anlässlich einer Preisverleihung in Wien daraus zitierte.
Aber die Idee mit der Schalte fanden wir letzten Endes doof. Dann wollten wir unsere Band zu Beginn der Sendung das Ibiza-Lied von den Vengaboys spielen lassen. Die Kollegen probten es, mit Gesang, was wir wiederum zu viel fanden. Die meiste Zeit verbrachten wir schließlich mit der Frage, was man in einem nachgestellten Video anders machen könnte als im Original. 

Wir mussten an dem Abend eine Erwartung erfüllen, die wir selbst nicht genau einordnen konnten.

Christoph Grissemann spielt schließlich in Ihrer Video-Parodie Heinz-Christian Strache: Er streicht sich über den Bauch und schmiedet Pläne, den ORF zu übernehmen. Sie fungieren als Übersetzer ins Russische.
Ob das gelungen war, kann ich schwer einschätzen. Wir mussten an dem Abend eine Erwartung erfüllen, die wir selbst nicht genau einordnen konnten.

Von welcher Erwartung sprechen Sie?
Ein Nachteil meines Berufes ist, dass mich die Menschen direkt angehen: Sie sehen mein Gesicht und reden mit mir. Ich war am Samstag auf dem Heldenplatz bei den Demonstranten. Dutzende von Menschen sprachen mich an und nahmen Bezug auf die nächste Sendung von „Willkommen Österreich“. Jeder sagte so was wie „Das ist ja toll für euch!“ oder „Ich bin gespannt!“ oder „Was werdet ihr machen? Jetzt müsst ihr was machen!“

Das heißt, Sie wurden mit Erwartung und Hoffnung befrachtet. Das ist vermutlich das Schlimmste, das man gesagt bekommen kann, oder?
Das Allerschlimmste! Mein erster Impuls war, lieber krank zu werden und nichts zu machen. Ich war ja selbst betroffen; ich lebe ja in diesem Land und habe eine Meinung. Zugleich muss der ORF selbst in der Satire ausgewogen sein. Ich darf nicht alles machen und dann sagen, das sei eben Satire. 

Eine vertrackte Situation.
… die eine interessante Wendung erfuhr: Ich kann nun Dinge sagen, die früher nicht denkbar gewesen wären. 

Inwiefern?
Die Kollegen von Maschek synchronisieren für unsere Sendung Videomaterial mit neuen Dialogen. In einer „Willkommen Österreich“-Sendung im April ließen sie einen Reporter diese Frage sagen: „Heinz-Christian Strache ist jetzt der Sportminister. Vom Neonazi zum Sportminister – eine typisch österreichische Karriere würde ich sagen, oder?“ Nun gibt es eine interne ORF-Diktion, der zufolge man nicht sagen darf, dass Strache Neonazi ist. Dafür hätte er verurteilt sein müssen. Deswegen haben sie die Passage erst ganz aus der ORF-TVthek genommen, sie dann aber wieder reingenommen – und überpiepst. 

Das ist …
Totaler Schwachsinn! Nun las ich am Morgen des Tages, an dem das Strache-Video rauskam, eine Meldung über Gottfried Küssel. Er ist ein alter Neonazi, der lange im Gefängnis saß, und in dessen Dunstkreis Strache als junger Mensch unterwegs war – die Bilder aus dieser Zeit sorgten im Herbst 2017 für große Aufregung. Küssel sagte der Meldung zufolge, dass Strache sich ihm damals als extrem überzeugter Nationalsozialist präsentiert habe und dass er noch viel Material von ihm habe. Dieses Material, so Küssel, werde er bei gegebenem Anlass präsentieren. Auf Basis der Küssel-Meldung und nach dem Rücktritt Heinz-Christian Straches sagte ich in unserer Sendung, dass Küssel Heinz-Christian Strache angeboten habe, in seinen alten Beruf als Neonazi zurückzukehren … 

Und der ORF … ?
… hat es nicht zugepiepst! 

Plötzlich ist es also legitim, etwas zu sagen, was vorher verpönt war?
Eine Woche vorher wäre es nicht möglich gewesen.

Welche Hoffnung steckt hinter dem Satz „Jetzt müsst Ihr was machen“, wie Sie ihn auf dem Heldenplatz gehört haben?
Viele haben in den vergangenen beiden Regierungsjahren gelitten und ein Teil der Bevölkerung leidet schon viel länger unter Heinz-Christian Strache. Diese Menschen suchen eine Art von verbriefter Stimme, die für sie spricht. Als Jörg Haider 2008 starb und Staatstrauer ausgerufen wurde, waren wir die Einzigen, die sich über die Feierlichkeiten rund um diesen Tod lustig machten. Das war notwendig, weil das Land in Geiselhaft genommen worden war. Eine Kärntner Slowenin, die ich kenne, sagte mir, dass ihre Tochter in der Klasse eine Trauerstunde für Jörg Haider mitmachen musste, die der damalige Landesschulrat angeordnet hatte. Nachher sagte die Tochter: „Mama, wir haben jetzt die ganze Zeit zum Haider im Himmel gebetet – aber wir finden doch, dass der in der Hölle ist, oder?“ Die Slowenen in Österreich wurden von Haider die ganze Zeit zur Sau gemacht. Diese Leute brauchten auch eine Stimme. Die waren wir. 

Der Kabarattist und Autor Dirk Stermann, fotografiert von Gerald von Foris
Der Kabarattist und Autor Dirk Stermann, fotografiert von Gerald von Foris

Willkommen Österreich gibt es seit 2007. Wie hat sich Ihre Sendung seither verändert?
Ursprünglich war „Willkommen Österreich“ ja keine Late Night, sondern eine Sendung mit drei Moderatorenteams, in der es jedes Mal um eine andere Angst gehen sollte. Das Konzept sah psychedelische Angstmusik vor, über die Kameras wurden Strümpfe gezogen, das Studiolicht sollte diffus bleiben. Eine affige Sendung mit unglaublich wenigen Zuschauern. Der damalige ORF-Programmchef sagte: Entweder ihr verändert was oder wir hören auf. Dann fragten wir, ob wir nicht einfach eine normale Sendung machen können, in der wir am Anfang Witze erzählen und dann mit Gästen sprechen? Ohne Strümpfe über den Kameras? So kamen wir zu einer Late Night Show. Nach der zweiten Sendung hatten wir schon mehr Zuschauer als mit dem Angst-Konzept, es kamen die ersten Skandälchen, es wurden mehr Zuschauer und irgendwann war es wie heute.

War das für Sie als Satire-Duo ein Wendepunkt?
Schon. Wir sind eigentlich Radioleute und machten bis dahin extremes Nischenradio.

Ich erinnere mich an den „Salon Helga“ im ORF, auf Ö3.
Bei Ö3 gab es Leute, die sagten, das müsse man sofort einstellen, das sei Vollschrott, überhaupt nicht lustig, niemandem könne das gefallen. Es kam die Anfrage, ob wir nicht auftreten wollen – woran wir nie gedacht hatten. Wir traten auf und es war brechend voll. Dann wurde der Radiosender FM4 gegründet, für den wir viel arbeiteten. Dort bildete sich eine feine Community, auch um unsere Arbeit herum, und uns wurde klar, dass es Leute gibt, die das, was wir machen mögen. Wir hatten auch eine Radiosendung in Berlin, die zwölf Jahre lief. Im ORF gab es immer neue Projekte, die immer wieder eingestellt wurden. An eine Late Night hatten wir aber nie gedacht. Willkommen Österreich war deshalb eine Zäsur. 

Aus Ihrer Radioarbeit sind mir absurde Geschichten und Szenen in Erinnerung, dann wieder klassische kabarettistische Monologe und gehässige Dialoge zwischen Christoph Grissemann und Ihnen. Wie entstehen solche Sendungen oder Abende?
Wir haben den Mut, Schrott zu machen. Wir erheben das Laufenlassen zur Kunstform und schauen, ob was entsteht. Wir pflegen die Lust am Scheitern, an der eigenen Schwäche, und thematisieren sie. Wenn ich mich auf den Punkt gut vorbereitet hinstellen will, ist die Gefahr groß, dass mich der Wille zur Perfektion behindert. Wenn ich aber sage, dass ich nicht gut bin, und ich bin dann nicht gut, dann habe ich es eh gesagt. Das befreit.

Aber das Scheitern ist doch anstrengend. Sie müssen die leeren Gesichter der Zuschauer ertragen, wenn eine Szene, eine Pointe nicht funktioniert. Wie halten Sie das aus?
Durch Gewöhnung. Zu unseren ersten Auftritten kamen noch Leute, die genauso wenig Ahnung von Humor hatten wie wir selbst. Deswegen verstanden sie uns. Irgendwann traten wir vor Menschen auf, die nicht wussten, was wir machen. Das war schrecklich.

Das heißt?
Null Reaktionen, katastrophale Presse. Ich erinnere mich an einen Abend in Passau, ein großes Zelt, vor uns spielte Josef Hader und wurde umjubelt. Wir waren nach ihm dran. 1000 Menschen im Zelt, niemand konnte was mit uns anfangen. Der Josef fragte, ob wir am Ende gemeinsam das Krüppellied auf der Bühne singen könnten – das ist ein berühmtes Lied in Österreich, in dem man sich über Krüppel lustig macht. Wir sagten, dass wir das nicht singen können, weil wir den Text nicht kennen und keine Sänger sind. Der Josef meinte dann, er gebe uns die Texte, spiele selber am Klavier und wir sollten dann eben gemeinsam singen. Am nächsten Tag stand in der Passauer Neuen Presse sinngemäß: Großartig! Josef Hader glänzte noch mehr, weil nachher diese beiden Vollidioten auftraten. 

Au weh.
Da stand, wir beiden Vollidioten hätten Josef Hader gezwungen, ein widerwärtiges Lied zu singen, in dem man sich über Behinderte lustig macht. Schrecklich. So war es oft. 

Christoph ist ohnehin grundpessimistisch und findet alles was wir machen schlecht. Ich finde vieles was wir machen schlecht.

Was machen Sie nach solchen Abenden?
Nach Auftritten bekommen wir die schlimmsten Reaktionen in der Regel nicht mit, weil wir gleich in eine andere Stadt reisen. Jetzt, durch das Internet, ist es schwieriger. Ich könnte, wenn ich wollte, alles nachlesen. Das tu’ ich aber nicht. Ich denke: So lange ich auftrete und Leute kommen, weiß ich, dass es da draußen Menschen gibt, denen das, was wir machen, gefallen kann.

Wie reden Sie beide über einen solchen Pleiteabend? Schimpfen Sie über das Publikum?
Nein, wir geben den Leuten immer recht. Christoph ist ohnehin grundpessimistisch und findet alles was wir machen schlecht. Ich finde vieles was wir machen schlecht.

Ist das ernst gemeint?
Das ist ernst gemeint. Ich habe eine fröhliche Resignation, er hat eine traurige Resignation. Das ist unsere Haltung. 

Ist das eine gute Einstellung, um nicht enttäuscht zu werden?
Es ist eine gute Einstellung, um weitermachen zu können.

Woran bemessen Sie, ob ein Auftritt gut war?
Ich habe manchmal ein rundes Gefühl, während ich was mache. Es gibt Sendungen, aus denen ich rausgehe und sage: Das war irgendwie rund, da war eine Atmosphäre, die ich mochte. Das hängt aber auch mit den Gästen und den Menschen im Saal zusammen – wenn man denkt, da ist kurz was gewesen.

Ist es nicht ein Elend, dass die Zusammensetzung der Menschen im Publikum sich Abend für Abend ändert?
Ja. Ob ein Abend funktioniert oder nicht, liegt aber auch an einem selbst. Es kann damit zu tun haben, wie warm es im Raum ist. Wie eng sitzen die Leute? Wie teuer war der Eintritt? Ist es Dienstag oder Samstag? Die Leute in der Szene sprechen tatsächlich von Dienstags- und Samstagspublikum. 

Das heißt?
Die, die während der Woche kommen, wollen kommen, auch wenn sie am nächsten Tag arbeiten müssen. Am Wochenende dagegen, so sagt man, kommen auch die Menschen, die einfach irgendwas unternehmen wollen. 

Stimmt das so?
Das ist alles Quatsch. Es gibt im Kabarett wahnsinnig viele Entschuldigungen für Abende, die schlecht besucht sind. Die Szene ist an der Stelle krank, im Zweifel ist ein Rockkonzert in 300 Kilometer Entfernung schuld. Die Sehnsucht nach Erfolg ist so groß, dass es Kollegen gibt, die nicht ausverkauft sind, aber die Agentur zwingen, auf alle Plakate ein „Ausverkauft“ zu kleben. Sie glauben, dadurch beim nächsten Mal mehr Besucher anzuziehen. 

Eine interessante Strategie.
Eine armselige Strategie. Christoph und ich spielen ja einfach immer auf dem gleichen, mittleren Niveau. Wir spielen nie Zirkus Krone.

Möchten Sie eigentlich im Zirkus Krone auftreten?
Ich fände das gar nicht so schlecht, weil es nur einen statt drei Abende Arbeit bedeuten würde. Aber der Christoph will das nicht. Er findet das zu arrogant. 

Ja?
Immer schon. Er findet, wir gehören nicht in große Hallen. Aber ich glaube, dass die, die derzeit in großen Hallen spielen auch nicht in große Hallen gehören. 

Wie oft sind Sie dieses Jahr unterwegs?
Dieses Jahr spielen wir nur 80 Auftritte, wir treten weniger auf. Nächstes Jahr werden es nur noch 60 sein. Bei der Zahl ist es fast schon so, dass du dich freust, ein paar Tage rauszukommen. 

Macht Ihnen das Reisen Freude?
Früher machte es mir Freude, heute nicht mehr. Früher waren die Auftritte der Grund, abends noch was zu machen. Jetzt freue ich mich schon auf der Bühne, dass ich ins Hotel gehen kann. 

Schauen Sie sich die Orte an, in denen Sie spielen?
Ein paar Jahre lang habe ich mir die Städte angeschaut, bin an Flüssen und Seen spazieren gegangen, habe Kirchen besichtigt. Inzwischen schreibe ich auf Tour an meinen Romanen und zwinge mich, zwei, drei Stunden am Tag zu arbeiten. Wir sind ja in der Regel nicht in Tokio oder München unterwegs, sondern in Waidhofen an der Ybbs oder in Ried im Innkreis. Da ist die Möglichkeit etwas zu unternehmen ohnehin reduziert. 

Schreiben Sie und Christoph Grissemann Ihre Texte miteinander?
Fürs Radio haben wir früher vierhändig geschrieben. Jetzt machen wir es gar nicht mehr.

Das heißt?
Wir sitzen nicht mehr zusammen und schreiben. 

Vermissen Sie diese Arbeit?
Mir hat es immer Spaß gemacht, Christoph war es immer zu anstrengend. Heute legt er sich was für sich zurecht und ich lege mir was für mich zurecht. Dieses Hinsetzen und Tippen mag er nicht. Wahrscheinlich haben wir das zu oft gemacht. Wir haben zu viel zusammen geschrieben. 

Es ist doch auch anstrengend, oder?
Ja. Unter Druck allerdings konnten wir das gut.

Waren die Radiosendungen früher denn immer durchgeschrieben?
Früher haben wir viele kurze Texte geschrieben, bizarre, kleine Geschichten, immer bis Sendungsbeginn. Als dann das Rotlicht anging, hatten wir keinen Schluss. Deswegen waren unsere Schlusssätze immer … irgendwas. Es ging sich einfach nicht mehr aus. 

Sie vermissen das gemeinsame Schreiben, oder?
Mir hat immer das Schreiben mehr Spaß gemacht und Christoph das Darstellen. Ihm ist es wichtig, etwas so zu performen, wie er es gut findet. Mir ist das Performen total unwichtig. Ich finde es immer albern, wenn erwachsene Männer was spielen. Christoph hat eine Hochachtung vor Schauspielern, die ich nicht habe. Was ich spielen muss, spiele ich immer gleich. 

Ist Ihnen bewusst, dass Sie vielleicht gerade durch diese Unterschiedlichkeit zusammenpassen?
Uns ist bewusst, dass wir relativ gute Radiostimmen haben, dass wir relativ gut vorlesen können. Irgendwann wurde uns klar, dass es in Österreich gut ist, wenn ein Deutscher und ein Österreicher auf der Bühne stehen. Angefangen aber haben wir einfach, weil es im Radio nichts gab, was für Leute wie uns unterhaltsam war. Es gab nur Quatschhumor. 

Haben Sie je nach einer Beschreibung für das gesucht, was Sie machen?
Nein. Wir dachten auch nicht darüber nach, ob wir Kabarett machen. Irgendwann aber waren wir so häufig auf Kabarettbühnen zu sehen, dass es auch albern gewesen wäre, etwas anderes zu behaupten.

Schreiben Sie lieber Bücher oder Sketche?
Sketcheschreiben finde ich eigentlich würdelos. Ein Sketch schreit ständig, dass er lustig sein will. Beim Romanschreiben schreit nichts, ich muss niemanden überzeugen, nur mich. Das Romanschreiben ist verrückt, weil es ewig dauert. Im September erscheint ein Roman, an dem ich drei Jahre gearbeitet habe. Das ist toll. Genau das Gegenteil unserer schnellen Fernseharbeit! 

Du wirst sehen, wenn du von einer Tournee zurückkommst, ist das für deine Familie so, als kämst du aus der Kriegsgefangenschaft.

Was haben Sie bei der Radio- oder Fernseharbeit gelernt?
Im Radio gibt es einen wahnsinnig guten Satz, der für unsere Arbeit wichtig war: Das versendet sich. Alles, was Scheiße ist, versendet sich. Also nehme ich es nicht so ernst. Fernsehen versendet sich irgendwie auch – auch wenn es durch das Internet mehr und mehr bleibt. Einmal aber haben wir einen Film gedreht, „Immer nie am Meer“. Der Regisseur sagte uns: „Seid euch bewusst, dass Dialoge, die ihr für den Film schreibt, bleiben werden. Film bleibt.“ Von dem Moment an konnten wir nicht mehr weiter an den Dialogen schreiben, weil uns diese Vorstellung belastete. 

Fragen junge Kabarettisten bei Ihnen um Rat?
Selten.

Was raten Sie, wenn doch?
Keine Ratschläge annehmen und nicht versuchen, etwas zu machen, das andere schon machen. 

Okay.
Und such dir eine gute Agentur!

Haben Sie eine gute?
Als wir anfingen auf Tournee zu gehen, sagte unser Agenturchef: „Du wirst sehen, wenn du von einer Tournee zurückkommst, ist das für deine Familie so, als kämst du aus der Kriegsgefangenschaft.“ 

Hatte er recht?
Die machen ihren Alltag zuhause ohne dich. Du kommst zurück und störst. Was er sagte, stimmt total. 

Hatten Sie einen Plan für Ihre Karriere?
Nein. Leute wie Stefan Raab oder Harald Schmidt wollten etwas. Wir wollten nie etwas. Wir waren nicht zielstrebig.

Sie waren aber immer irre fleißig, soweit ich das sehen kann. Sie müssen ein gewisses Arbeitsethos pflegen.
Wir haben nie einen Auftritt abgesagt. Nur ein Abend wurde mal verschoben, weil mein Vater gestorben war und ich nach Düsseldorf flog. Aber sonst? Bei 430 Sendungen Willkommen Österreich waren wir oft krank, gingen aber immer auf die Bühne. Einmal war mir wahnsinnig schwindelig und ich fuhr im Rollstuhl auf die Bühne. Die Leute fanden es lustig.

Haben Sie sich je gefragt, wie sinnhaft Ihre Arbeit ist?
Meine Mutter hörte vor meiner Geburt auf zu arbeiten, zog uns Kinder groß, war dann eine Zeit lang mit meinem Vater alleine – jetzt sitzt sie in ihrem Haus und erlebt nichts. Wenn wir einmal die Woche telefonieren, sagt sie: Ach, du erlebst so viel! Sie hat recht, ich habe das Gefühl, dass ich viel erlebe, im Positiven wie im Negativen. Ich werde für gar nicht so viel Arbeit gut bezahlt und bekomme auf der Straße in Österreich positiven Response. Es stört mich nicht, wenn mich Leute in der Straßenbahn freundlich anlächeln. Das ist das Resultat der Arbeit und ich finde es nicht so unangenehm. 

Es ist ein irre geiler Prozess, Assoziationen so zu verketten, dass sie Sinn ergeben.

Ich kenne vier Brüder, die jahrzehntelang nebeneinander im Handwerksbetrieb Autoanhänger bauten. Auf die Frage, wie man es so lange neben- und miteinander aushalten könne, sagte einer: Man muss vergeben können. Haben Christoph Grissemann und Sie ein Rezept für Ihre Zusammenarbeit?
Wir haben eine wahnsinnig schlechte Streitkultur. Aber wir haben auch beide die Fähigkeit, trotzdem weiterzumachen. Wir können uns abends im Hass anbrüllen und trennen und morgens so tun, als sei alles okay. Weil es weitergehen muss.

Wie geht es dennoch weiter?
Wir fügen uns in das Ausgemachte. Übers Machen und Arbeiten vergessen wir, dass wir streiten. Mit den Jahren wurde es aber auch wichtiger, dass jeder nebenher andere Sachen macht. 

Eine Partnerschaft muss gepflegt werden.
Eigentlich ja, aber das tun wir nicht. 

Spüren Sie noch Aufregung?
Nee. Auch bei Fernsehsendungen bin ich nur ein bisschen aufgeregt, obwohl wir Woche für Woche ein ungeübtes Programm spielen. Ohne Teleprompter. Wir sind die Einzigen, die ohne Teleprompter arbeiten, weil Christoph keine Brille tragen will.

Was hilft, die Unsicherheit auszuhalten?
Emotionale Lethargie. 

Das heißt?
Für viele wäre eine solche Situation schlimm, anderen macht es nicht so viel aus. Also ergibt es doch Sinn, dass diejenigen das machen, die es aushalten. 

Ich überlege, ob das Schreiben von Sketchen oder Romanen für Sie eine Variante ist, um Sinn zu erzeugen – weil Sie Gedanken zu Zusammenhängen verketten können?
Es ist ein irre geiler Prozess, Assoziationen so zu verketten, dass sie Sinn ergeben. Ich schreibe zum Beispiel eine Kolumne für den Wiener, eine Zeitung, die jetzt vierzig Jahre alt wird. Aus diesem Anlasse sollte ich etwas Passendes verfassen. Eine Freundin schickte mir eine Meldung, derzufolge 1920 die US-Post verbot, Kinder zu verschicken. Neben der Meldung stand das Bild eines achtjährigen Buben namens James, der von seiner Oma verschickt wurde. Für 15 Cent Porto! Im Text schrieb ich, dass der Junge 1979 die Urne seiner Eltern verschickte – damit sie sehen, wie schrecklich das ist. So kamen der Wiener und sein Geburtsjahr doch noch vor. So etwas finde ich gut. 1979 wurde übrigens auch der langjährige Ministerpräsident von Iran zum Tode verurteilt – und auf dem Weg zur Hinrichtung erschossen!

Fotos: Gerald von Foris